Die Laute (German Edition)
aus dem hölzernen Bauch, nicht in einer bestimmten Tonfolge, sondern eher als ein dichter Klang, als würde er ein Glas Murmeln schütteln oder eine Perlenkette zerreißen und die Perlen auf den harten Marmorboden prasseln lassen. Gebannt lauscht er diesem Gespräch, und es kommt ihm vor, als sei es die ’Ud selbst, die spräche.
6
»Rate, wer auf dem Hochzeitsfest meines Bruders die ’Ud spielen wird!« Asis hört das Angeberische in Hamids Stimme und zuckt nur gleichgültig mit den Achseln. »Bilal!«, ruft Hamid stolz, als habe nicht sein reicher Vater, sondern er selbst diesen Mann zur Hochzeit Nassars eingeladen. Asis’ Mimik bleibt unbewegt. Aber er weiß natürlich, wer Bilal ist. Wer hätte seinen Namen nicht gehört! Er ist der berühmteste ’Ud-Spieler der Arabischen Halbinsel und stammt aus Dschibla, gar nicht weit von Ibb entfernt. Sein Vaters- und Familienname ist unbekannt. Manche sagen, er sei Waise, bösere Zungen behaupten, seine Familie habe ihn verstoßen, da sein Musikantendasein Schande über die eigene Sippe gebracht habe. – Offenbar ist es im Jemen möglich, verehrt und ehrlos zugleich zu sein.
Die bevorstehende Ankunft des Meisters verbreitet sich, zweifellos von Hamid geschürt, wie ein Lauffeuer in der Altstadt. Selbst Asis’ Herz schlägt höher, auch wenn er sich, zumindest Hamid gegenüber, nichts davon anmerken lässt. Er hat Bilal nie zuvor gesehen und nie sein Lautenspiel gehört. Es gibt keine Tonaufnahmen davon. Doch als Hamid nun auf einen alten Mann weist, der mit gebeugtem Haupt, die Hände in den Taschen seiner schmutzigen Hose vergraben, über den Platz zu Karims Teehaus schlurft, kann er es nicht glauben.
»Das ist Bilal?«
Hamid nickt eifrig. Offenbar sieht er nicht das, was Asis sieht.
»Stell mich dem Meister vor«, bittet Asis seinen Freund.
»Das kannst du nicht wirklich wollen«, antwortet Hamid.
»Und warum nicht?«
»Wenn man ihn auf der Straße anspricht, muss man damit rechnen, von ihm geohrfeigt oder geküsst zu werden.«
Asis muss seinem Freund recht geben. Weder will er die Faust, noch die Lippen dieses Mannes spüren.
Am Abend sitzt er, der alte gebeugte Mann, im großen, festlich geschmückten Hochzeitszelt der Familie al-Khasami, eine Schale Tee und eine Schüssel Reis vor sich. Er schweigt, während er isst und trinkt. Asis beobachtet ihn vom Zelteingang. Die anderen Festgäste, ausschließlich Männer, beachten ihn nicht.
Vor allem durch den Verkauf seiner Felder an Bauunternehmer ist Abdul-Latif al-Khasami, Hamids Vater, reich geworden. Das Haus der al-Khasamis steht oben auf dem Berg, in der Nähe der alten Burg, mit Blick über die ganze Altstadt und das Neubaugebiet im Tal.
Das Festzelt nimmt die gesamte Länge und Breite der Gasse vor dem Beit al-Khasami ein. Es fasst wohl dreihundert Gäste oder mehr. Jeder, der die Gasse nur durchqueren will, ist zu einem weiten Umweg gezwungen.
Stimmengewirr dringt auf die Gasse, und nur einige leise, ein wenig verloren wirkende Lautentöne. Die Männer im Zelt reden laut und wild durcheinander. Kaum jemand hört dem berühmten Bilal zu. Den alten Mann scheint es nicht zu kümmern. Unrasiert und ein wenig schmuddelig sitzt er in der Nähe des Bräutigams, der angesichts dieses Festes wesentlich verdrießlicher dreinblickt.
Die reisverklebten Hände wischt sich Bilal an der Hose sauber. Die Hände scheinen das einzige zu sein, dessen Reinlichkeit dem Alten am Herzen liegt. Dabei müsste er doch durch seine Auftritte genug verdienen, um sich ansehnlichere Kleidung leisten zu können und nicht in dem erbärmlichen Zimmer des Funduq al-Arisa hausen zu müssen.
Als Hamid Bilal im Auftrag seines Vaters ein großes helles Zimmer im Beit al-Khasami anbietet, lehnt Bilal die Einladung schroff ab. »Du glaubst, ich passe in euren Palast?«, knurrt der Alte mürrisch. »Schau doch hin, Junge! Was soll ich alter Dreckskerl in einem großen sauberen Zimmer!«
Als Hamid diese kurze Begegnung seinem Freund erzählt, kann Asis es kaum glauben. Wie kann ein Mensch so wunderbare Töne hervorzaubern und zugleich so hässliche Worte von sich geben?
Asis zieht sich einige Schritte vom Zelteingang zurück und stimmt leise und von den anderen unbeachtet seine Laute. Nur der Alte im Zelt, so scheint es Asis, hält kurz inne, als er dieses Echo der eigenen vertrauten Klänge hört. Er streicht über die Saiten, als seien es die seidigen Haare eines Kindes. Seine Lippen sind nach wie vor zusammengepresst, aber seine
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