Göttersturz, Band 1: Das Efeumädchen (German Edition)
Die Westwindfestung
»Hab mir den Anblick irgendwie nicht so protzig vorgestellt.« Ulme zog die Zügel seiner Stute an. »Ist ja nur 'ne blöde Schule, wenn man‘s pagmartisch betrachtet.«
» Pragmatisch , mein Lieber, es heißt pragmatisch .« Corellius ritt neben ihn auf die Hügelkuppe und brachte seinen stämmigen Schimmel zum Halt. »Denk dran, dass die Westwindfestung nicht irgendeine Schule für sommersprossige Dorfgören ist, sondern die wichtigste Schule der ganzen Republik.«
Ulmes Blick wanderte über die Festungsanlage im Tal. Als er auch die letzte Zinne und den letzten, elegant geschwungenen Giebel betrachtet hatte, spuckte er aus – einen gewaltigen, zweifarbigen Schwall Speichel, was seine höchste Form der Verachtung darstellte.
Corellius ging es ähnlich wie seinem Schildbruder. Auch ihm gefiel der Pomp, den die Burgen und Schlösser der Alten Monarchen besaßen, kein bisschen. Und noch viel weniger gefiel ihm, was sie dort unten in der Westwindfestung erwartete. Wäre mein Verstand nur ebenso scharf wie mein Schwert gewesen, schalt er sich selbst, dann wären wir nie in die ganze Sache hineingeraten.
Er spähte in den Himmel. Die Wolkenberge, die über die Westebene hinwegzogen, gerieten zunehmend dichter und grauer. Nicht mehr lange und sie würden den zinnernen Felsmassiven von Corellius' Heimat gleichen. Und wenn dieser Moment gekommen war, dann wäre er lieber im Trockenen.
»Komm schon, vertrödeln wir keine Zeit mehr. Es sieht nach Sturm aus und nach allem, was ich gehört habe, ist ein Sturm hier in den Ebenen alles andere als ein laues Lüftchen und ein wenig Nieselregen.«
»Wasser ist Wasser und Luft ist Luft, bereitet mir alles keine Schmerzen – aber gut, bringen wir die ganze Angelegenheit hinter uns, ne?«, stimmte Ulme zu.
Sie gaben ihren Pferden die Sporen und galoppierten hinab in die Talsenke, wo sie für die letzten Meter dem Verlauf der Schotterstraße folgten, die aus Osten hierherführte.
Vor den Mauern der Festung flankierten einige Lehmhütten den Weg. Corellius machte mehrere kleine Gehöfte aus, einen Schmied, einen Gemischtwarenhändler und sogar ein Hurenhaus für die Gelüste der Wachmannschaft. Das zahnlose Klappergestell, das davor saß und ihm zuwinkte, machte ihm jedoch schnell klar, dass man sich dort höchstens eine Ladung Schwanzbeißer statt der erhofften Befriedigung holen konnte.
Vor dem trutzigen Torhaus hielten sie ihre Pferde an. Die Zugbrücke war hochgezogen. Zwar befand sich kein Wasser im Burggraben, dafür wies er allerdings ansehnliche Holzspieße auf.
»He, Wachleute! Corellius Adanor bittet um Einlass!«, brüllte er, die Hände als Trichter um seinen Mund haltend.
Zwischen den Zinnen lugte ein behelmter Kopf hervor. »Nie gehört, den Namen. Was wollt Ihr und Euer Freund? Ihr seid ja bewaffneter als 'ne Armee Schattenschlächter.«
»Wir sind die vom Ewigen Konzil erwählte Eskorte, die das Efeumädchen zum Ekun-Tempel bringen soll.«
Die Wache brach in heiseres Gelächter aus. Es brauchte einige Zeit, bis sie sich wieder soweit gefangen hatte, dass sie rufen konnte: »Eh, Leute! Hier sind zwei bis an die Zähne bewaffnete Vogelscheuchen, die behaupten, sie seien die Eskorte des Efeumädchens.«
Wie ein Pfeilhagel, kochendes Pech und Kanonenschüsse auf einmal drang das vielstimmige Gelächter der Wachen von den Zinnen.
Corellius biss sich auf die Zunge. Über die Entscheidung des Konzils, nur zwei dreckige Söldner als Eskorte zu schicken, hätte er wohl selbst gelacht, wenn er von dieser Entscheidung nicht unmittelbar betroffen wäre.
Er griff in seine Satteltasche und holte eine Pergamentrolle aus ihr hervor, versehen mit dem Siegel des Ewigen Konzils. »Ich wünschte selbst, es wäre anders«, rief er. »Aber das hier ist die offizielle Bestätigung.«
Das Gekecker der Wachen erstarb abrupt.
Unter Kettenrasseln donnerte die Zugbrücke herunter. Im Torbogen stand ein verhutzelter Wächter, an dem das Kettenhemd herabhing wie an einem krummen Kleiderständer. »Kommt näher und zeigt mal her! Wenn sie diesmal nur euch beide geschickt haben, stecken wir wirklich in der Scheiße.«
Sie ritten in die Festung und Corellius überreichte das Dokument.
Der Wachmann brach das Siegel, entrollte das Pergament und ließ seinen Blick über das Geschriebene gleiten. Mit jeder Zeile, die er las, wurde sein pockennarbiges Gesicht blasser. »Das ist echt. Das ist tatsächlich echt.« Er schaute zu den beiden auf. »Das Ewige Konzil hat
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