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Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Titel: Die Lebenskünstlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ute R. Albrecht
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Geschichte packen? Da könnte ich eine schier unendliche Quelle nutzen und anderen zugänglich machen.
    Wunderbare Vorstellung. Ich sehe mich schon mit wallenden Gewändern fröhlich meine Seminarschüler begrüßen. Geistreiche Zeit mit ihnen verbringen. Ihre freudigen Erwartungen spüren. Meine Zufriedenheit. Dann wieder Zeit für mich. Zum Schreiben. Zum Malen. Künstlerische Schöpfung. Lächelnd und wissend als weise Frau, als weiblicher Guru, eine kreative Gurine? Ich verliere mich in bunten und herrlichen Tagträumen.
    Doch wer will das lesen, wen soll der ganze Kram überhaupt interessieren? Wer würde sich diese riesigen Leinwände mit dem Geschmiere ins Wohnzimmer hängen?
    Es gibt genügend Schriftsteller und Maler. Da habe ich keine Chance. Uff, was bin ich wieder so negativ. Ist ja kaum auszuhalten.
     
    Tags darauf gehe ich brav in meine Bäckerei und nutze die Stumpfsinnigkeit des Aufbackens, Kundenbedienens und Aufräumens, um über das weiter nachzudenken, was ich gerne machen würde. Oder könnte. Oder wollen könnte.
    Ben meldet sich abends per E-Mail. Er verweile geschäftlich in Österreich. Sein Auftraggeber müsse länger bleiben als erwartet. Herzliche Grüße schicke ich in einer kurzen Mail zurück. Ich habe momentan nur ein Thema im Kopf: Meine Berufung. Die erwachsene, selbstverantwortliche Wahl, tun und lassen zu können, was ich will. Ohne mich einschränken zu lassen. Ohne mich durch meine eigenen Grenzen zu blockieren.
    Halbherzig halte ich weitere, recht uninteressante und keineswegs vielversprechende, Internetkontakte am Laufen.
     
    Wie ergeht es den Menschen in meinem Umfeld mit dem Thema Berufung?
    Carmen und Elena stehen mir im Moment sehr nahe. Ich verabrede mich mit ihnen zu einer kleinen Wanderung. Als ich zum festgelegten Treffpunkt komme, sind meine Freundinnen schon aus ihren Autos gestiegen und plaudern lauthals.
    Nach dem Knuddeln und Drücken spazieren wir zügig durch den Rodenbacher Wald und bleiben gelegentlich stehen, wenn uns die Puste ausgeht.
    Zuerst frage ich meine Freundin Elena nach ihrer Ansicht zum Thema Berufung und höre, dass sie die Älteste von fünf Geschwistern sei. Sie erzählt detailliert von ihren Lieblingsbrüdern. Behutsam lenke ich ein, um auf das eigentliche Thema Berufung zurückzukommen, da mir immer noch nicht der Zusammenhang mit meiner Frage klar ist.
    Wie erwartet sortiert sie ihre Gedanken und geht ein paar Schritte. Ihr Blick verweilt dabei auf dem unebenen Waldboden.
    Abrupt bleibt sie stehen: „Meine Mutter litt unter starken Depressionen, deswegen kümmerte ich mich zwangsläufig, aber trotzdem hingebungsvoll, um meine Brüder.“
    Ausdrücklich betont sie mehrmals, dass sie sich wirklich hingebungsvoll kümmerte. Sie beschwört mich regelrecht, ihr das ja zu glauben.
Ich nicke brav und zustimmend.
    Carmen schlendert langsam weiter, so dass ich nur ihren Rücken sehe und nicht im Gesicht ihre Gedanken erahnen kann.
    Elena fährt mit ihrem Bericht fort: „Ich habe somit Mutterersatzspielen regelrecht im Blut. Dadurch bin ich auch absolut gerne Erzieherin im Kindergarten.“
    Sie lacht und ich weiß nicht so recht, was ich denken und fühlen soll. Stolz betont sie, nach bald zwanzig Jahren immer noch begeistert von ihrer Tätigkeit zu sein.
    Bei dem Gedanken, so unendlich lange Zeit an einem Arbeitsort zu bleiben, schnürt es mir unweigerlich die Kehle zu, so dass ich schwer schlucken muss. Zumal mich die ganze Geschichte eher an ein Kindheitstrauma erinnert, welches noch heute im reiferen Alter wiederholt werden muss.
    Aber was weiß ich, wenn Elena das so empfindet, dann ist das ihre Wahrheit und stimmt. Wir gehen ein paar Minuten, bevor ich mich an Carmen wende.
     
    Sie zögert und gesteht schließlich leicht verschämt, dass sie am Liebsten von ihrem Noch-Ehemann weiterversorgt werden würde, auch über die Trennungszeit nach dem Scheidungstermin hinaus.
    Auch ihre Augen verweilen auf dem Boden. Mit dem Blick auf Steinchen und Gräsern können sich Gedanken wohl am ehesten sammeln.
    „Nach der Schule lernte ich Krankenschwester“, verächtlich spricht sie dieses Wort aus. „Und zwar nur, weil ein Freund meines Vaters mir mit einem recht bescheidenen Notendurchschnitt diese Stelle vermittelte.“
    Wir gehen weiter. Ein paar tiefe Seufzer vernehme ich an meiner linken Seite. Carmen verweilt mit ihren Gedanken anscheinend bei diesem schrecklichen Umstand, der ihr Schicksal besiegelte.
    „Ich hasse abgrundtief diesen Beruf und

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