Die Lebenskünstlerin (German Edition)
peinlich. Der Kleine will gar nicht mehr gehen, hat sich wohl nach meinem Auftritt mehr versprochen. Ich reiße die Wohnungstür auf und verabschiede ihn mit glühenden Wangen. Mein Spiegelbild zeigt eine Frau mit wirrem, langen Haar, knallroten Bäckchen und vor Scham aufgerissenen dunklen Augen. Das bin ich.
Mit dem Küchenmesser hebele ich den Saugnapf zu guter Letzt so an, dass die Klebekraft nachlässt und das fleischfarbene Ding in den braunen Karton fällt. Ich hätte es ja behalten können. Aber jetzt ist es in den Karton gefallen, also kommt es zum Müll.
Mit meinem Ex-Freund-Päckchen fahre ich den Fahrstuhl zum Container runter. Kurz bevor ich das Ganze entsorge, hole ich doch noch schnell den Dildo raus, auch wenn er fleischfarben ist.
Kann frau ja vielleicht irgendwann mal gebrauchen. War bestimmt teuer.
Schnell schiebe ich ihn mir unter das T-Shirt, damit ihn niemand sieht und husche zum Fahrstuhl zurück.
Im zweiten Stock hält dieser an. Hier ist anscheinend ein Familienfest zu Ende.
„Ich fahre erst hoch in den Vierten“, versuche ich die übermütige und angeheiterte Meute abzuwimmeln, die sich in den Fahrstuhl quetscht. Es interessiert keinen wirklich.
„Das macht uns nichts aus, wir begleiten sie gerne ein Stück in die oberen Stockwerke.“
Ein älterer Herr mit glasigen Augen und hochroten Wangen klopft mir fest auf die Schultern. Beinahe fällt der fleischfarbene Postöpsel aus meiner Hand unter dem T-Shirt.
Eine kleine dralle Frau mit faltigem, goldbehängten Hals und freundlichem Lachen schüttelt beherzt meinen Arm. Sie äußert damit ihre Begeisterung darüber, dass ihr offenbar unverheirateter Sohn im gleichen Haus wohnt wie ich, eine ach so hübsche junge Frau.
Voller Inbrunst wünsche ich, der dämliche Dildo wäre mit in den Container gewandert. Zumal er ja auch nicht mal schwarz ist. Wenn meine Mutter mich jetzt sehen könnte.
Mit vielen guten Wünschen und göttlichem Segen verabschiedet sich die turbulente Fahrstuhlgesellschaft wort- und gestikreich von mir und meinem verborgenen Fleischfarbenen im Vierten.
Erleichtert und ziemlich abgekämpft ziehe ich meine Tür ins Schloss und verstaue das unglückselige Ding im hintersten Winkel meines Kleiderschranks. Sollen meine Erben ihn nach meinem Tod wieder rausholen und sich über ihn Gedanken machen. Für mich ist er vorerst gestorben. Absolut.
Während ich die Brotregale schrubbe, versuche ich etwas von dem Wirrwarr an Gefühlen in mir in Worte zu fassen. Schnell notiere ich zwischendurch ein paar Sätze und Worte und bediene weiterhin herzlich und zuvorkommend die Kunden, backe Teiglinge auf, wische hier und da. Gute Idee. Da mein Kopf bei dieser eintönigen Arbeit kaum gebraucht wird, kann ich ihn tatsächlich für das Schreiben und für ein paar Skizzen nutzen.
Das macht mir richtig Spaß. Anfangs sammle ich einzelne Blätter, doch bald besorge ich mir kleine schlichte Heftchen, die ich schnell in der roten Schürze verschwinden lassen kann.
Jedenfalls fühle ich mich besser. Natürlich mag es möglicherweise nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sein, aber es gibt mir Mut.
Abends kommt Jan, mein jüngster Sohn, mit Pizza und zwei Flaschen Bananenbier vorbei.
Wir sitzen auf dem Balkon, jeder in einem dicken Ohrensessel, die Beine auf der Brüstungsmauer und mampfen Pizza. Sogar an meine zusätzlichen Ananasstücke hat mein liebes Kind gedacht. Natürlich will ich auch von ihm hören, wie es mit seiner inneren Stimme in Bezug auf Beruf und Berufung aussieht. Er lacht und meint, dass Tim ihn schon darüber aufgeklärt hätte, dass die Mama auf dem Berufungstrip sei.
Breitwillig teilt er mir seine Erfahrungen mit, während er sich unaufhörlich Pizza in den Mund stopft: „Früher hat mich das Thema kaum interessiert, es ist mir ziemlich egal gewesen“, erinnert er sich.
„Hauptsache eigenes Geld verdienen statt der langweiligen Schule - das ist wichtig gewesen.“
„Meine Ausbildung zum Gerüstbauer war anfangs recht schwierig. Die ungewohnte körperliche Arbeit, der Umgang mit älteren Kollegen. Doch irgendwann konnte ich erste Erfolge verbuchen, bekam viel Lob von meinen Kollegen und meinem Chef.“
Er trinkt einen Schluck aus der Bananenbierflasche und greift nach einem neuen Stück Pizza aus der bunt bedruckten Schachtel.
„Zum Glück bin ich absolut schwindelfrei“, erklärt er mir stolz.
Von mir hat er das nicht. Voller Panik würde ich mich an irgendeinem Schneegitter
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