Die leere Wiege: Roman (German Edition)
mehr so geliebt werden würde wie in diesem Moment. Nie wieder würde er dermaßen abhängig von mir sein. Es war ein Moment vollkommener Liebe und Hingabe. Wenn du die Wahl hättest, würdest du dein Leben nicht auch an einem Punkt beenden, an dem ein anderer dich so innig liebt, so ausnahmslos und unübertreffbar? Wäre das nicht der schönste Zeitpunkt, um zu sterben?
Welch ein Geschenk ich meinem kostbaren Jungen machte, als ich meine Hand auf seinen zarten, zerbrechlichen Körper legte. Ich streichelte ihn. Er schlug die Augen auf, sah mich und wusste alles. Es gab weder Tränen noch Schmerzen.
Aber dich gab es noch, Jason.
Meine Hand war größer als sein Gesicht. Ich legte sie ihm über den Mund und die Nase, bedeckte seine zarten Züge. Und drückte sein Licht aus, wie bei einer Kerze. So rasch, so friedlich. Als ich anfing zu weinen und zu schreien, kam die Schwester herbeigestürzt und schob mich zur Seite. Ich fing an zu zittern. Das wird dir eine Lehre sein , dachte ich. Das war deine Schuld .
Mit einem Mal waren mehrere Schwestern und Ärzte da. Sie stachen die Nadel einer Spritze in meinen kleinen Jungen, drückten ihm auf die Brust und legten ihm eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht.
Ich verließ den Raum, denn ich wollte mich nur an seine Stille erinnern, nicht an die vergeblichen Versuche, ihn wiederzubeleben.
Nachher wurde es schwer für mich, und ich habe nie aufgehört, dich zu hassen. Für das, wozu du mich gezwungen hattest. Gleichzeitig liebte ich dich. Auch in diesem Punkt hatte ich keine Wahl. Dann befielen mich wieder Zweifel, und das waren die schlimmsten Tage.
Als ich Luke im Supermarkt wiedersah, dachte ich, er könnte mich retten. Er gab mir die Möglichkeit, deinen Sohn zu lieben, um meinen Schmerz zu heilen.
Ich habe Joel getötet, um dir wehzutun, um die Macht zu haben, dir das Herz zu brechen.
Deshalb habe ich für ein Verbrechen gebüßt, von dem ich sicher bin, dass du es begangen hast.
Cate schaute aus dem Zellenfenster hinunter in den Hof, über den Mark Burgess und Officer Holley Rose gerade führten. Sie ging gebeugt wie eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, oder wie jemand, der eine große Bürde trägt. Wenn sie Glück hatte, würde sie in zwei Jahren entlassen. Dann wäre sie sechs lange Jahre für etwas bestraft worden, das sie gar nicht getan hatte. Aber das Verbrechen, das sie begangen hatte, würde sie für immer verfolgen.
Cate steckte das schwarze Buch in ihre Tasche. Beim Verlassen der Zelle trat sie auf etwas, das unter ihren Schuhen knackte. Sie bückte sich und bemerkte einige geknickte Zweige. Sie hob sie auf und stellte fest, dass es sich um ein kleines Vogelnest handelte. Das also hatte Rose vorhin in den Händen gehalten.
Behutsam strich sie die Zweige glatt, steckte sie zurück und machte das Nest heil, machte es wieder zu einem Zuhause.
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