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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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Gedanken schreckten davor zurück. Er konnte weder denken noch fühlen; sein Körper war taub.
    Ihr Tod hatte ihn fast umgebracht, doch jetzt, wo sie wieder hier war, hatte er Angst zu hoffen. Wenn das Leben ihn eins gelehrt hatte, dann die Tatsache, daß jeder Mensch eine Schwachstelle hatte. Er wußte, daß er jetzt der seinen ins Gesicht sah. Er setzte sich ans Bett und nahm ihre kalte Hand. Seine eigene zitterte vor Anspannung. Er suchte nach ihrem Puls. Nichts. Er ging durchs Zimmer, um noch eine Decke zu holen, deckte Virae zu und machte Feuer im Kamin.
    Es dauerte fast eine Stunde, bis er Calvar Syn draußen auf der Treppe hörte. Der Mann verfluchte Arshin lauthals. In einer schmutzigen blauen Tunika und blutverschmierter Lederschürze trat der Arzt ins Zimmer.
    »Was ist das für ein Unsinn, Graf?« polterte er. »Da draußen sterben Männer! Wenn ich ihnen nicht helfe … Was …?« Er verstummte, als er das Mädchen im Bett sah. »Der alte Mann hat also nicht gelogen. Warum, Rek? Warum hast du ihren Leichnam zurückgeholt?«
    »Ich weiß es nicht. Ehrlich nicht. Serbitar ist mir im Traum erschienen und hat mir erzählt, daß er ein Geschenk für mich zurückgelassen hätte. Ich habe Virae gefunden. Ich weiß nicht, was jetzt geschieht. Ist sie tot?«
    »Natürlich ist sie tot. Der Pfeil ist durch ihre Lunge gedrungen.«
    »Sieh sie dir an, bitte. Da ist keine Wunde.«
    Der Arzt zog die Decke weg und hob ihr Handgelenk. Eine geraume Weile sagte er nichts. »Da ist ein Puls«, flüsterte er schließlich, »aber schwach und sehr, sehr langsam. Aber ich komme am Morgen wieder. Halte sie warm, mehr kannst du nicht tun.«
    Rek setzte sich neben das Bett und hielt Viraes Hand. Hin und wieder nickte er für kurze Zeit ein. Schließlich brach der Morgen an, hell und klar, und die aufgehende Sonne tauchte den östlichen Horizont in goldenes Licht. Und als das Licht auf Viraes Wangen fiel, bekam ihr Gesicht wieder Farbe, und sie atmete tiefer und fester. Ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen. Sofort war Rek hellwach.
    »Virae? Kannst du mich hören, Virae?«
    Sie schlug die Augen auf, schloß sie wieder. Ihre Lider flatterten.
    »Virae!« Wieder öffnete sie die Augen, und diesmal lächelte sie.
    »Serbitar hat mich zurückgebracht«, sagte sie. »Ich bin so müde … Ich muß … schlafen.« Sie drehte sich auf die Seite, drückte das Kissen an die Brust und fiel in tiefen Schlaf, als die Tür geöffnet wurde und Bowman hereinkam.
    »Bei den Göttern! Es ist also wahr«, sagte er.
    Rek führte ihn aus dem Zimmer auf den Gang.
    »Ja. Irgendwie hat Serbitar sie gerettet. Ich kann es nicht erklären. Und es ist mir egal, wie es geschehen ist. Was tut sich draußen?«
    »Sie sind fort! Sie alle – jeder einzelne von ihnen, altes Roß. Das Lager ist verlassen; Orrin und ich sind dort gewesen. Sie haben nur ein Banner mit dem Wolfsschädel und die Leiche des Bürgers Bricklyn zurückgelassen. Ich begreife das nicht. Hast du eine Erklärung dafür?«
    »Nein«, sagte Rek. »Das Banner besagt jedenfalls, daß Ulric wiederkommt. Aber die Leiche? Ich weiß es nicht. Ich hatte Bricklyn zum Feind geschickt. Er war ein Verräter. Offensichtlich hatten sie keine Verwendung mehr für ihn.«
    Ein junger Offizier kam die gewundene Treppe hinaufgestürmt.
    »Herr!« rief er. »Ein Reiter der Nadir wartet an der Mauer Eldibar.«
    Gemeinsam stiegen Rek und Bowman auf den Wehrgang der Mauer Eins. Tief drunten sahen sie einen Reiter auf einem grauen Steppenpony. Es war Ulric, der Herrscher der Nadir. Er trug einen wollenen Wams, Stiefel aus Ziegenleder und einen Helm mit Pelzbesatz. Er hob den Kopf, als Rek sich über die Brüstung lehnte.
    »Du hast gut gekämpft, Bronzegraf«, rief er. »Ich bin gekommen, dir Lebewohl zu sagen. In meinem Königreich ist ein Bürgerkrieg entbrannt, und ich muß euch eine Zeitlang verlassen. Aber ich komme wieder.«
    »Ich werde hier sein«, sagte Rek. »Und beim nächstenmal wird dir ein noch wärmerer Empfang bereitet. Aber sag mir, warum deine Männer sich zurückziehen, wo wir doch schon geschlagen waren.«
    »Glaubst du an die Macht des Schicksals?« fragte Ulric.
    »Ja.«
    »Dann laß es uns als einen Streich des Schicksals bezeichnen. Oder als einen Scherz, den die Götter sich mit uns Sterblichen erlaubt haben. Es ist mir egal. Du bist ein tapferer Mann. Deine Soldaten sind tapfere Männer. Und du hast gesiegt. Ich kann damit leben, Bronzegraf – ich wäre ein armseliger Mann, könnte

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