Die Legende
beglückwünscht Euch zu Eurem großartigen Sieg über die Rebellen von Gulgothir und hofft, daß Ihr nun, wo die Greuel des Krieges hinter Euch liegen, Zeit findet, die neuen Verträge und Handelsvereinbarungen zu prüfen, die er mit Euch bei seinem überaus erfreulichen Aufenthalt hier im letzten Frühjahr besprochen hat. Ich habe hier einen Brief von Abalayn, ebenso wie die Verträge und Vereinbarungen.« Bartellus trat vor und reichte Ulric drei Schriftrollen. Ulric nahm sie und legte sie behutsam neben sich auf den Boden.
»Ich danke dir, Bartellus« sagte er. »Sag mir, fürchten die Drenai wirklich, daß meine Armee gegen Dros Delnoch marschieren wird?«
»Ihr scherzt, Herr?
»Keineswegs», antwortete Ulric mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme unschuldig. »Die Händler haben mir erzählt, daß in Drenan viel darüber geredet wird.«
»Das ist nur müßiges Geschwätz«, erklärte Bartellus. »Ich selbst habe geholfen, die Vereinbarungen aufzusetzen. Wenn ich bei den komplizierten Stellen behilflich sein kann, wäre es mir ein Vergnügen.«
»Ich hin sicher, daß alles in Ordnung ist«, meinte Ulric.
»Aber du mußt verstehen, daß mein Schamane Nosta Khan die Omen prüfen muß. Ein primitiver Brauch, ich weiß, aber das siehst du sicherlich ein, nicht wahr?«
»Selbstverständlich. Solche Dinge sind eine Frage der Tradition«, erwiderte Bartellus.
Ulric klatschte zweimal in die Hände, und aus den Schatten zur Linken tauchte ein verhutzelter alter Mann in einem schmutzigen Umhang aus Ziegenfell auf. Unter seinem knochigen rechten Arm trug er ein weißes Huhn und in seiner linken Hand eine große flache Holzschale. Ulric erhob sich, als er näher kam, streckte die Hände aus und ergriff das Huhn am Hals und den Beinen.
Langsam hob Ulric es über seinen Kopf – und dann, während Bartellus’ Augen sich vor Entsetzen weiteten, ließ er das Huhn sinken und biß ihm den Hals durch, so daß der Kopf vom Körper gerissen wurde. Die Flügel schlugen noch wild; Blut quoll hervor und bespritzte und tränkte das weiße Gewand. Ulric hielt den zuckenden Kadaver über die Schale und beobachtete, wie der Lebenssaft das Holz befleckte. Nosta Khan wartete, bis der letzte Tropfen aus dem Fleisch gequollen war, und hob dann die Schale an die Lippen. Er blickte zu Ulric auf und schüttelte den Kopf.
Der Kriegsherr warf das Huhn beiseite und zog langsam das weiße Gewand aus. Darunter trug er eine schwarze Brustplatte und ein Schwertgehänge. Er nahm den Kriegshelm aus schwarzem Stahl, eingefaßt mit Silberfuchsfell, der neben dem Thron stand, und setzte ihn auf. Dann wischte er sich den blutverschmierten Mund am Drenai-Gewand ab und warf es Bartellus nachlässig vor die Füße.
Der Herold blickte auf das blutgetränkte Gewand zu seinen Füßen.
»Ich fürchte, die Omen sind nicht günstig«, sagte Ulric.
1
Rek war betrunken. Nicht betrunken genug, daß es eine Rolle spielte, aber genügend, um keine Rolle zu spielen, dachte er, als er in den rubinroten Wein blickte, der blutige Schatten im Bleikristallglas warf. Ein Holzfeuer im Kamin wärmte seinen Rücken. Der beißende Rauch stieg ihm in die Augen, dieser scharfe Geruch des Rauches, der sich mit dem Gestank ungewaschener Körper, vergessener Mahlzeiten und muffiger, feuchter Kleider mischte. Eine Laternenflamme tanzte kurz in dem eisigen Wind, als ein Schwall kalter Luft in den Raum drang. Dann wurde sie wieder ausgesperrt, als ein neuer Gast die Holztür zuknallte und eine Entschuldigung in die überfüllte Wirtsstube murmelte.
Die Gespräche, die in dem plötzlichen eisigen Hauch verstummt waren, wurden wieder aufgenommen. Ein Dutzend Stimmen aus verschiedenen Gruppen verschmolz zu einem monotonen Murmeln. Rek nippte an seinem Wein. Er schauderte, als jemand lachte – das Geräusch war so kalt wie der Winterwind, der um das Holzhaus heulte. Als ob jemand über dein Grab geht, dachte er und zog seinen blauen Umhang fester um die Schultern. Er brauchte nicht die Worte zu hören, um zu wissen, worum sich alle Gespräche drehten; es war seit Tagen dasselbe.
Krieg.
So ein unscheinbares Wort. Eine solche Qual, Blut, Tod, Eroberung, Hunger, Pest und Schrecken.
Erneut dröhnte Gelächter durch den Raum. »Barbaren!« brüllte eine Stimme über dem Gemurmel. »Leichte Beute für Drenai-Lanzen.« Noch mehr Gelächter.
Rek starrte den Kristallkelch an. So schön. So zerbrechlich. Mit Sorgfalt, ja, Liebe hergestellt, kunstvoll geschliffen wie ein hauchfeiner
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