Die Legende
schuldest mir nichts. Aber eins sage ich dir: Wenn wir diesen Tag überleben, soll es keinen Krieg mehr zwischen uns geben. Die Rechte an den hohen Delnoch-Pässen gehören mir, auch wenn du das in Abrede stellst. Daher übertrage ich sie dir, hier vor diesen Zeugen.
In der Festung befindet sich auch eine Schriftrolle mit meinem Siegel. Wenn du uns heute abend verläßt, sollst du sie haben. Eine Kopie davon geht an Abalayn in Drenan.
Ich weiß, daß diese Geste nur wenig Bedeutung hat, wenn die Nadir heute siegen – aber es ist alles, was ich tun kann.«
Joacim verbeugte sich. »Die Geste als solche ist genug.«
Die Unterhaltung verstummte, als die Nadir-Trommeln erklangen, und die Krieger von Dros Delnoch schwärmten auf der Mauer aus, um die Angreifer im Empfang zu nehmen. Rek klappte sein Visier herunter und zog Egels Schwert. Unter ihm, in dem blockierten Tortunnel, standen Orrin und einhundert Krieger. Der Tunnel war in der Mitte nur knapp sieben Meter breit, und Orrin schätzte, daß er ihn fast den ganzen Vormittag würde halten können. Wenn die Barrikaden erst einmal eingerissen waren, würde der Ansturm der Nadir-Horden allein ausreichen, um sie auf das offene Geländer hinter der Brüstung hinauszudrängen.
Und so begann der letzte blutige Tag in Dros Delnoch.
31
Welle um Welle schreiender Stammeskrieger wurde im Laufe des Vormittags die Taue und Leitern hinaufgespült, aber sie mußten feststellen, daß die Schwerter und Krummsäbel der Verteidiger ihnen nur kalten, schrecklichen Tod bereiteten. Männer stürzten schreiend auf die Felsen unterhalb der Mauer oder wurden auf den Wehrgängen von den Kämpfenden zu Tode getrampelt. Sathuli und Drenai brachten den Nadir Seite an Seite den Tod.
Rek kämpfte beidhändig. Das Schwert Egels mähte die Reihen der Nadir nieder, wie eine Sichel Weizen mäht. Neben ihm kämpfte Joacim mit zwei Kurzschwertern, wirbelnd schnell und tödlich.
Orrins Männer wurden langsam in den breiten Teil des Tunnels zurückgedrängt, wenn die Nadir auch für jeden Zentimeter, den sie an Boden gewannen, teuer bezahlten.
Orrin wehrte eine zustoßende Lanze ab und landete einen rückhändigen Hieb im Gesicht eines Kriegers. Der Mann verschwand in der Menge, und ein anderer nahm sofort seinen Platz ein.
»Wir können den Tunnel nicht mehr halten!« rief ein junger Offizier rechts von Orrin.
Orrin hatte keine Zeit zu antworten.
Plötzlich schrie der vorderste Nadir-Krieger entsetzt auf und wich zurück in die Reihen seiner Kameraden. Andere folgten seinem Blick über die Reihen der Drenai hinweg zum Tunneleingang.
Eine Lücke öffnete sich zwischen den Drenai und den Nadir und wurde breiter, als die Stammeskrieger sich umdrehten und auf das offene Gelände zwischen Valteri und Geddon flohen.
»Große Götter von Missael!« sagte der Offizier. »Was ist denn los?« Orrin drehte sich um und sah, was die Nadir so in Schrecken versetzt hatte.
Hinter ihnen in dem dunklen Tunnel standen Druss die Legende, Serbitar und die Dreißig. Bei ihnen waren viele der gefallenen Krieger. Druss hielt die Axt in der Faust, und in seinen Augen funkelte Kampflust. Orrin schluckte und leckte sich die Lippen. Erst beim dritten Versuch gelang es ihm, das Schwert in die Scheide zu stecken.
»Ich glaube, wir überlassen es ihnen, den Tunnel zu verteidigen«, sagte er. Die übrigen Krieger drängten sich hinter ihm zusammen, als er auf Druss zuging.
Die geisterhaften Verteidiger schienen sie nicht wahrzunehmen. Ihre Augen waren fest auf den Tunnel gerichtet. Orrin versuchte, mit Druss zu sprechen, aber der alte Mann starrte einfach geradeaus. Als Orrin eine zitternde Hand ausstreckte, um den Axtkämpfer zu berühren, traf seine Hand auf nichts – nur kalte, kalte Luft.
»Wir gehen zurück zur Mauer«, sagte er. Er schloß die Augen und wanderte blindlings durch die Reihen der Geister. Als er den Tunneleingang erreichte, zitterte er. Die anderen sagten nichts.
Niemand sah zurück.
Auf der Mauer ging er zu Rek, und die Schlacht nahm ihren Fortgang. Kurze Zeit später, während einer kleinen Verschnaufpause, rief Rek: »Was ist mit dem Tunnel?«
»Druss ist dort!« antwortete Orrin. Rek nickte nur und drehte sich wieder um, als frische Nadir-Krieger über die Brüstung kamen.
Bowman, der Kurzschwert und Schild trug, kämpfte neben Hogun. Obwohl er mit der Klinge nicht so gewandt war wie mit dem Bogen, war er beileibe kein schlechter Krieger.
Hogun wehrte einen Axthieb ab – und sein Schwert
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