Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
Prolog
14. FEBRUAR
Moskau
Schmutziger Schnee, schwarz von Auto- und Industrieabgasen, häufte sich auf den Bürgersteigen an der Twerskaja, dem imposanten Boulevard, der quer durch eins der quirligsten Geschäftsviertel der russischen Hauptstadt führt. Unter den leuchtenden Straßenlaternen wimmelte es von Fußgängern, die sich, dick eingewickelt gegen die frostige Nachtluft, auf dem eisglatten Pflaster drängelten. Ströme von Autos, Lastwagen und Bussen wälzten sich in beide Richtungen und ihre Winterreifen knirschten auf dem Gemisch aus Salz und Sand, das gestreut worden war, um ihnen auf der außergewöhnlich breiten, mehrspurigen Durchgangsstraße besseren Halt zu geben.
Dr. Nikolai Kirianow eilte auf der rechten Seite der Straße nach Norden, wobei er sich große Mühe gab, sich unauffällig durch die rastlose Menge zu bewegen. Doch sobald irgendjemand, ob Jung oder Alt, Mann oder Frau, ihn streifte, zuckte er zusammen und verspürte den Drang, zurückzuschrecken oder panisch davonzulaufen. Trotz der bitteren Kälte schwitzte er unter der Pelzmütze, Schweißtropfen rannen über seine Stirn.
Der groß gewachsene, spindeldürre Pathologe klemmte sich den hübsch verpackten Geschenkkarton fester unter den Arm und widerstand der Versuchung, ihn unter dem Mantel zu verbergen. Obwohl der Valentinstag erst vor relativ kurzer Zeit in den russischen
Kalender aufgenommen worden war, wurde er immer beliebter, und viele andere Männer um ihn herum hatten ebenfalls Pakete mit Schokolade und Süßigkeiten dabei, die als Geschenk für ihre Frauen und Freundinnen gedacht waren.
Bleib ruhig, ermahnte er sich nachdrücklich. Er war in Sicherheit. Niemand wusste, was sie mitgenommen hatten. Noch waren ihre Pläne geheim.
Warum erschrickst du dann vor jedem kleinen Schatten, fragte die leise Stimme in seinem Kopf lakonisch. Hast du all die seltsamen Blicke und die furchtsamen Mienen der Kollegen vergessen? Und was ist mit dem kaum merklichen Klicken im Telefon, das du immer wieder gehört hast?
Kirianow blickte über die Schulter, als erwartete er geradezu, einen Trupp uniformierter Polizisten zu entdecken, die ihn verfolgten. Doch er sah nur andere Moskauer, die mit ihren eigenen Sorgen und Nöten beschäftigt waren, und es eilig hatten, aus dem eiskalten Winterwetter herauszukommen. Etwas erleichtert wandte er sich um und wäre fast frontal mit einer kleinen, rundlichen Alten zusammengestoßen, die mehrere Kartons mit Lebensmitteln in den Armen hielt.
Leise Verwünschungen ausstoßend funkelte sie ihn an.
»Prastitje, Babuschka «, stammelte er, während er sich an ihr vorbeidrückte. »Entschuldigen Sie, Großmütterchen.« Sie spuckte ihm ärgerlich vor die Füße und blickte ihm finster nach. Er hastete voran, sein Puls hämmerte in den Ohren.
Ein Stück weiter vorn erhellten grelle Neonreklamen die zunehmende Dunkelheit, ein auffallender Kontrast zu den massiven grauen Wohnhäusern und Hotels, die in der Stalin-Ära entlang der Straße entstanden waren. Kirianow atmete aus. Er näherte sich dem Café, in dem er seine Kontaktperson treffen wollte, eine sympathische westliche Journalistin namens Fiona Devin. Dort würde er ihre Fragen beantworten, sein Material übergeben und dann schnell in seine kleine Wohnung zurückkehren, ohne dass
übergeordnete Stellen etwas erfuhren. Erpicht darauf, dieses gefährliche heimliche Rendezvous so bald wie möglich hinter sich zu bringen, beschleunigte er seine Schritte noch einmal.
Plötzlich rempelte ihn von hinten jemand an und Kirianow wurde nach vorn gestoßen, auf ein dickes Stück rutschiges schwarzes Eis. Seine Füße verloren den Halt. Wild um sich schlagend glitt er aus und fiel auf den Rücken. Sein Kopf schlug hart auf dem Pflaster auf und eine weißglühende Schmerzwelle überrollte ihn, sodass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Benommen und stöhnend blieb er einen langen Augenblick still liegen, unfähig sich zu bewegen.
Durch die benebelnden Schmerzen spürte er, wie eine Hand sich auf seine Schulter legte. Ächzend öffnete er die Augen und schaute hoch.
Ein blonder Mann in einem teuer wirkenden Wollmantel kniete neben ihm und überschüttete ihn mit Entschuldigungen. »Oh, es tut mir so leid, mein Herr. Ist alles in Ordnung? Wie ungeschickt von mir. Furchtbar ungeschickt.« Mit beiden behandschuhten Händen griff er nach Kirianows Arm und packte ihn fest. »Lassen Sie mich Ihnen beim Aufstehen helfen.«
Der russische Pathologe spürte
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