Die Legende der Wächter 11: Das Königreich (German Edition)
Emerilla ein hässlicher, krähenähnlicher Vogel. Der Vogel flog mit gezückten Krallen auf Hoole los.
Der Zusammenprall ließ Hoole rückwärts schlittern. Er prallte gegen den schmelzenden Königsthron. Unwillkürlich schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er Strix Strumajen über einem schwarzbraunen Federbündel kreisen. Die Pfütze unter dem Bündel färbte sich rötlich. Auf der Oberfläche trieben kleine tote Flugwesen.
Ein Raunen ging durch den Saal. „Halb-Hägs!“
„Ich musste sie töten“, sagte Strix Strumajen. „Sie hat sich als meine Tochter getarnt. Ich habe die ganze Zeit gespürt, dass mit ihr etwas nicht stimmte. In Wirklichkeit war sie eine Dämonin.“
„Nein!“, stieß das Federbündel hervor. Hoole beugte sich über die Sterbende.
„Wer bist du?“
„Ich bin ein Nichts. Aber ich habe geliebt …“
Das Röhrchen mit der Glut baumelte immer noch an Hooles Hals. Die Sterbende hob den Fuß.
Sie hat es auf die Glut abgesehen! , schoss es Hoole durch den Kopf.
„Nein“, flüsterte Lotta wieder. „Ich wollte etwas anderes. Ich wollte …“ Ihre Augen brachen. Sie war tot.
Eine Nebelgestalt stieg von ihrem Leichnam auf und verflüchtigte sich. Lottas Seele war fort.
„Wahrscheinlich ist sie auf dem Weg nach Hägsmir“, sagte Strix Strumajen. Dann wandte sie sich der echten Emerilla zu. „Meine Tochter!“ Sie breitete die Flügel aus.
Hoole schaute Emerilla an. Ihre Flecken leuchteten so strahlend wie Sterne, als käme sie geradewegs aus Glaumora, dem Eulenparadies.
Abermals war es im Thronsaal still geworden. Noch stiller als zuvor. „Das Tropfen hat aufgehört“, stellte Theo fest.
„Das Eis schmilzt nicht mehr“, sagte Phineas.
Schneerose flatterte auf und kreiste über dem Thron. „Setzt Euch, Euer Majestät!“
Hoole nahm den Platz ein, auf dem schon sein Vater und sein Großvater gesessen hatten. Im selben Augenblick hörte auch der Thron zu schmelzen auf. Neue Eiskristalle bildeten sich und überzogen glitzernd die Oberfläche. Hoole spürte den warmen Behälter auf seiner Brust. Die Glut hat uns nicht geholfen, den Krieg zu gewinnen. Aber sie hat dazu beigetragen, den rechtmäßigen Herrscher in sein Amt einzusetzen.
Hoole flog auf den obersten Ast des baumartigen Thrones. Er hielt das grün leuchtende Röhrchen mit der Glut hoch, damit alle es sehen konnten.
„So wie unser Los nicht von den Sternen abhängt, so bestimmt die Glut nicht unser Schicksal, meine Freunde. Über unser Schicksal entscheiden wir nämlich selbst. Und nun freut euch mit mir! Uns stehen herrliche Zeiten bevor, Zeiten der Hoffnung und des Ruhms!“
Ohrenbetäubender Beifall antwortete ihm. Ja, Zeiten der Hoffnung und des Ruhms. Und vielleicht auch Zeiten der Liebe?
Hooles Vorhersage erfüllte sich voll und ganz. Und auch die Liebe kam zu ihrem Recht. Emerilla und Hoole wurden ein Paar. Sie bekamen viele Küken. Ihr ältester Sohn H’rathruyan folgte seinem Vater auf den Thron von N’yrthgar. Das Königreich hieß aber nicht mehr N’yrthgar, sondern wurde fortan „die Nordlande“ genannt, genauso wie man von S’yrthgar nur noch als von den „Südlanden“ sprach. Das Südmeer hieß nur noch Hoolemeer und die Insel mit dem Großen Baum hieß allgemein „die Insel Hoole“. Hoole und Emerilla regierten als Königspaar im Großen Ga’Hoole-Baum und wurden zusammen alt.
Eines Nachts wandte sich der König an seine Gemahlin. „Ich muss dir etwas sagen, Liebste.“
„Ich weiß schon, was du mir sagen willst.“
„Woher? Was will ich dir denn sagen?“
„Dass es an der Zeit ist, die Glut wieder in die Hinterlande zu bringen.“
„Ich habe Gränk auf seinem Sterbelager versprochen, die Glut irgendwann zurückzubringen. Aber ich würde es auch ohne dieses Versprechen tun. Die Magie der Glut ist einfach zu stark. Unsere Söhne und Töchter sind edle, tapfere Eulen, aber die Glut wäre eine zu große Last für sie. Ich möchte nicht, dass sie nach meinem Tod Unheil anrichtet. Sie soll wieder in einem Vulkan ruhen.“
Und so verließ eines Abends ein altes Fleckenkauzpaar den Großen Baum. Hooles und Emerillas Gefieder war mit den Jahren fast völlig weiß geworden. Sie hatten niemandem von ihrem Vorhaben erzählt und flogen ohne Begleitung über das Hoolemeer in die Hinterlande. Dort wurden sie schon von einer Wölfin erwartet, die um die Schnauze herum ebenfalls weiß geworden war.
„Namara!“, rief Hoole freudig aus.
„Willkommen, Hoole.“
Aber
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