Die Legende der Wächter 11: Das Königreich (German Edition)
zurück und schließlich sogar in eine Fleckenkäuzin. Den krassesten Anblick bot sie, als sie blitzschnell von einer kohlschwarzen Krähe zu einer reinweißen Schnee-Eule wurde.
Dabei war Lotta ein fröhliches, aufgewecktes Kind. Pliek und Ygryk freuten sich darüber, dass die Kleine sie Mama und Papa nannte. Trotzdem fiel es ihnen schwer, dieses Küken, das Krieth als „Wechselbalg“ bezeichnete, als ihr eigenes Kind zu betrachten.
„Ich bin ein Genie!“, rief die Alte jedes Mal, wenn ihr Blick auf Lotta fiel. Sie schien geradezu mütterliche Gefühle zu entwickeln, obwohl sie das sicher nie zugegeben hätte.
„Lotta ist ein braves Kind. Ich finde es nur unnatürlich, dass sie dauernd die Gestalt wechselt“, wagte Pliek zu äußern.
„Ist deine Ygryk etwa nicht wider die Natur? Und du selbst, der du schon halb zum Dämon geworden bist?“, konterte Krieth. „Natürlichkeit ist öde. Lotta ist viel spannender. Sie ist ein Phänomen! Ihr könnt stolz auf sie sein.“
„Gewiss, gewiss“, stimmten Pliek und Ygryk der Zauberin eilig zu. Aber beide dachten: Wir haben uns kein Phänomen gewünscht, sondern einfach nur ein Küken, das zu uns gehört. Sie gaben sich trotzdem redlich Mühe, Lotta besser kennen und lieben zu lernen.
Eine Zeit lang klappte das ganz gut. Pliek und Ygryk gewöhnten sich einigermaßen daran, dass Lotta sich innerhalb weniger Stunden von einer strahlend weißen Schnee-Eule in eine nebelgraue Bartkäuzin und anschließend in eine getüpfelte Fleckenkäuzin verwandeln konnte. Auch bei ihrer Erstes Fleisch am Knochen -Feier wechselte sie bestimmt fünf Mal die Gestalt. Zu Anfang war sie ein Uhumädchen. Dann wurde sie zur Hägsdämonin. Pliek und Ygryk nahmen an, dass Lotta ihnen damit eine Freude machen wollte. „Das ist wirklich nett von ihr“, sagte Ygryk. Leider blieb es nicht dabei. Im nächsten Augenblick verwandelte sich Lotta ausgerechnet in eine Elfenkäuzin. Sie wurde so klein, dass sie die dicke Wühlmaus kaum herunterwürgen konnte, die Pliek extra für die Feier gefangen hatte.
Pliek verlor die Beherrschung. „Warum macht sie das, beim Glaux?“
Lotta schaute verwundert zu ihm hoch. „Warum nennst du mich auf einmal ‚sie‘, Papa? Ich bin doch deine Lotta!“ Pliek antwortete nicht.
„Warum nennt er mich so, Mama? Bin ich denn nicht mehr euer Küken?“
„Nun ja, Schätzchen, manchmal haben wir Schwierigkeiten damit, dass …“ Ygryk kam ins Stottern, denn jetzt wuchs die Elfenkäuzin auf Schleiereulengröße an. Ygryk schaute auf einmal in ein weißes Gesicht mit nachtschwarzen Augen. „Bist du da drin, Lotta?“, entfuhr es ihr.
Krieth hockte in einem Winkel und schaute zu. Ihre Augen funkelten verschlagen.
Pliek und Ygryk wurden immer unglücklicher. Wenn sie gemeinsam auf die Jagd flogen, kannten sie nur ein Thema: ihr sonderbares Küken.
„Ich weiß einfach nicht, was ich von ihr halten soll“, sagte Ygryk seufzend.
„Mir geht es genauso“, erwiderte Pliek. „Bald müssen wir ihr das Fliegen beibringen.“
Jedes Vogelkind, ja überhaupt jedes Kind, spürt genau, wenn seine Eltern unzufrieden mit ihm sind. Lotta war da keine Ausnahme. Erst wurde sie sauer auf Pliek und Ygryk, aber irgendwann war es ihr egal. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Krieth ist viel netter zu mir. Sie hat mich gern, so wie ich bin.
Allmählich fürchtete sich Lotta richtig vor dem Augenblick, wenn Pliek und Ygryk von der Jagd zurückkehrten. Sie hörte die beiden draußen vor der Höhle tuscheln. Lotta wusste, dass es um sie ging. Wenn Pliek und Ygryk dann hereinkamen, verstummten sie, aber sie sahen Lotta vorwurfsvoll an. Oder sie wandten den Kopf ab, als könnten sie ihren Anblick nicht ertragen. Krieth dagegen zeigte ihren Stolz auf Lottas Wandlungsfähigkeit ganz offen.
Eines Nachts kehrten Pliek und Ygryk wieder von einem Beuteflug zurück. Lotta hockte in der Höhle auf einem Eisvorsprung. Sie hatte gerade Krähengestalt und dachte, Ygryk würde sich darüber freuen. Aber Ygryk machte ein abweisendes Gesicht. Bei allen Dämonen in Hägsmir , schoss Lotta einer von Krieths Flüchen durch den Kopf, warum glotzt mich meine angebliche ‚Mutter‘ so feindselig an? „Ich kann nichts dafür, wie ich bin!“, brach es aus ihr heraus.
„So wird’s sein“, erwiderte Ygryk nur. Pliek flog an Lotta vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Krieth saß wieder in ihrem Winkel. Sie machte ein zufriedenes Gesicht.
Am folgenden Nachmittag, als Krieth und Lotta
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