Die Legende der Wächter 11: Das Königreich (German Edition)
geschlüpften Küken oder noch sehr jungen Vögeln experimentiert. Doch vor einiger Zeit hatte sie ihre „Philosophie“, wie sie es nannte, geändert. Die alte Dämonin betrachtete sich selbst gern als Wissenschaftlerin und Philosophin. Nur eine Zauberin zu sein, war ihr nicht anspruchsvoll genug.
„Der Eizahn bricht durch!“, rief sie jetzt aus.
Das Ei stammte aus einem Uhugelege. Krieth hatte es gestohlen. Dann hatte sie es mit einer Krähenfeder „berührt“. Berühren war in diesem Fall nicht wörtlich gemeint. Es bezog sich auf einen Spruch im ersten Teil des Zaubers.
Ygryk und Pliek waren auf einmal ganz aufgeregt. Beide hatten den gleichen Gedanken: Das könnte unser Kind werden! Endlich!
Hinter ihnen ertönten tappende Schritte. Krieth drehte sich um. Der kleine Papageieneulerich pickte an ein paar Vogelherzen herum, die Krieth in einen Spezialtrank eingelegt hatte. „Lass das, Peule! Die sind nicht zum Fressen“, schimpfte die Alte. „Raus hier!“
„Ist gut, Mami“, sagte der Papageieneulerich kleinlaut und verließ die Höhle.
„Ich bin nicht deine Mami! Wie oft muss ich dir das noch sagen?“, rief Krieth ihm nach. Dann wandte sie sich wieder dem Ei zu. „Gleich ist es so weit.“
Es knackte laut und die Schale brach auf. Ein rosiges Bündel purzelte heraus. „Was ist es geworden?“, fragte Pliek im Flüsterton.
Krieth erwiderte kichernd: „Abwarten. Ihr hattet einen Uhu bestellt, oder?“
„Ja. Hat es geklappt?“
„Kann sein, kann aber auch nicht sein.“
„Die Kleine sieht auf jeden Fall wie eine Eule
aus“, meinte Ygryk. „Das erkennt man an den großen Glubschaugen.“ Sie beugte sich über das winzige Wesen.
„Bist du enttäuscht, dass sie dir nicht ähnlicher ist?“, fragte Pliek.
„Überhaupt nicht. Hauptsache, ein Kind.“
Alle frisch geschlüpften Vogelkinder sehen gleich aus. Sie sind noch nackt und ihre Augen sind geschlossen. Erst wenn ihnen Federn gewachsen sind und die Augenfarbe feststeht, kann man sagen, welcher Art sie angehören.
In den ersten Tagen war Pliek überzeugt, dass das Küken ein kleiner Uhu war. Es hatte so gelbe Augen wie er selbst als Küken. Insofern war er sehr zufrieden. Ihn störte nur, dass er sich die ganze Zeit beobachtet fühlte. Krieth schien sich viel mehr für ihn und Ygryk zu interessieren als für das Küken. Und warum kicherte sie jedes Mal, wenn er verkündete, dass seine Tochter ein prächtiges Uhumädchen werden würde?
Dann warf das Küken die Erstlingsdunen ab und bekam richtige Federn. Auch die sahen genau wie bei einem Uhu aus.
Doch eines Nachts kehrten Pliek und Ygryk von einem Jagdausflug zurück. Ygryk ließ ihre Beute fallen und flog zu der Kleinen. „Na, was macht unsere Süße?“, fragte Pliek über die Schulter. Doch statt einer Antwort vernahm er einen entsetzten Aufschrei. „O nein! Was ist mit meinem Kind passiert?“
„Was ist los? Ist sie verletzt? Oder tot?“, rief Pliek erschrocken. Dann ging er auf Krieth los. „Was hast du mit ihr gemacht, du alte Hexe?“
„Ich habe lediglich ein Meisterwerk erschaffen, sonst nichts.“
„Komm her, Pliek!“, rief Ygryk verzweifelt.
Pliek flog zu seiner Gefährtin hinüber. Das Küken pickte in einem Winkel nach Würmern. Jetzt blickte es auf und schaute seinen Vater an. Pliek blieb fast der Magen stehen. Er blickte in schwarze Schleiereulenaugen! Dabei hatte die Kleine weiterhin das Gefieder eines jungen Uhus.
„W…W…Wie kann das sein?“, stammelte Pliek verstört. Doch es kam noch schlimmer. Vor seinen Augen wechselten die Gesichtsfedern seiner Tochter die Farbe. Aus Bräunlich wurde Weiß. Sogar die Kopfform änderte sich. Nach unten hin wurde das Gesicht schmaler, nach oben hin breiter. „Meine Tochter ist eine Schleiereule! Das ist wider die Natur!“
„Tja, ich habe der Natur eben ein bisschen nachgeholfen“, sagte Krieth gelassen. „Einen Namen habe ich der Kleinen auch gegeben. Sie heißt Lotta. Lotta ist alles – und nichts.“
„Was soll das heißen?“, schrie Ygryk. „Wir wollten ein Kind, das entweder uns beiden ähnlich sieht oder wenigstens einem von uns!“
„Das kann ja jeder. Lotta ist einzigartig. Seht nur!“ Das weiße Schleiereulengesicht bekam jetzt schwarz glänzende Federn wie die einer Krähe. Auch die Augen wurden zu schwarzen Knopfaugen.
Im Lauf eines einzigen Tages änderte Lotta mindestens zehnmal ihr Aussehen. Ein paar Stunden war sie eine Krähe. Dann verwandelte sie sich wieder in eine Schleiereule
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