Die Legende der Wächter 8: Die Flucht
den jungen König an einem geheimen Ort, fern von anderen Eulen, groß. Doch als Hoole älter wurde, fanden die Hägsdämonen und andere böse Eulen heraus, wo er sich aufhielt. Gränk und Hoole mussten in die Hinterlande fliehen. Möglicherweise hatte Gränk von Anfang an vorgehabt, Hooles Ausbildung in den Hinterlanden fortzusetzen. Gränk war nämlich nicht nur der allererste Glutsammler, er besaß auch übernatürliche Kräfte. Er war ein Feuerseher.“
Coryn war baff, wie viele Ähnlichkeiten die alte Legende mit seinem eigenen Leben aufwies. Hatte vielleicht auch er ein Ei mit einem künftigen Herrscher gerettet? War es dem kleinen Höhlenkauz Coryn etwa bestimmt, König zu werden und die Eulen dieser Welt vom Bösen zu erlösen? War er, Coryn, ein zweiter Gränk? Endlich wird mir klar, was meine Aufgabe in den Hinterlanden ist! Wenn ich der Lehrer des kleinen Coryn werden soll, muss ich dort meine Ausbildung fortsetzen und mir übernatürliche Fähigkeiten aneignen. Ich bin sogar ein Feuerseher wie Gränk! Dass Gränk diese Gabe besessen hatte, hatte Coryn noch gar nicht gewusst. Die Übereinstimmungen waren zu zahlreich – das konnte kein Zufall sein! Coryn brannte darauf weiterzufliegen.
Wenn er das alles doch nur schon vorher gewusst hätte! Dann hätte er Kalo eine vernünftige Antwort auf die Frage geben können, was ihn ausgerechnet in die Hinterlande zog. Obwohl … vielleicht hätte sie mich dann für gaga gehalten. In Gedanken hörte er sich sagen: Weißt du, Kalo, dein kleiner Bruder wird einmal König werden und ich bin zu seinem Lehrer ausersehen. Doch vorher muss ich meine eigene Lehrzeit in den Hinterlanden beenden.
Coryn fieberte dem ersten Dunkel entgegen. Erst nach einer ganzen Weile konnte er einschlafen. Er wachte auf, als sich die Uhus in der Baumhöhle zur Jagd bereit machten. Er würde abwarten, bis sie ausgeflogen waren. Dann würde er am nördlichen Himmel nach dem Unveränderlichen Stern suchen und sich an ihm orientieren, wie Nebel und die Adler es ihm beigebracht hatten. Wenn er sich immer vier Grad westlich des Unveränderlichen hielt, kam er in die Hinterlande. Dort würde er seiner Bestimmung folgen und sich selbst zum Lehrer des künftigen Königs ausbilden.
Der Gegenwind zwang Coryn immer wieder zum Zwischenlanden. Er flog nach Möglichkeit zwischen den Bäumen hindurch, weil er hoffte, die Baumkronen würden den Wind ein wenig abhalten. Aber die Bäume wurden vom Wind durchgeschüttelt und Coryn musste den peitschenden Ästen ausweichen. Als sich der Wind eines Morgens endlich legte, wollte er schon im Hellen weiterfliegen. Die Versuchung verflüchtigte sich jedoch sofort, als er Krähengekrächz hörte. Er ermahnte sich zur Geduld und schlief schließlich ein. Erst als es dunkel geworden war, flog er weiter. So hielt er es auch die folgenden Nächte. Nur zum Fressen machte er Pausen.
Dann war er am Ziel. Der Himmel war mit funkelnden Sternen übersät. Der Mond stand im vollen Schein und hing tief am Horizont wie eine silberne Kugel.
Als Coryn länger hinschaute, schien ihm der Mond leicht zu schwanken. Gleich kippt er über den Rand der Welt , dachte Coryn. Nach dem weiten Flug kam es ihm vor, als hätte er tatsächlich das Ende der Welt erreicht.
Er saß auf einem hohen Felsen gleich hinter der Grenze zu den Ödlanden und ließ den Blick über die Umgebung schweifen. So eine Landschaft hatte er noch nie gesehen – und doch hatte sie sich ihm als Bild im Bestattungsfeuer seines Vaters gezeigt.
Hier war alles fremd, sogar die Farben. Zwischen weißen Schneeresten war der Boden glänzend schwarz. Am merkwürdigsten jedoch waren die kegelförmigen Berge. Auch sie hatte Coryn bereits im Feuer erblickt. In ihren Kuppen klafften runde Öffnungen wie riesige Mäuler. Die Mäuler spuckten Dampf und zwischendurch auch Flammen. Flüssiges Feuer rann die Berghänge hinunter wie brodelndes Blut.
Coryn sah viele Freie Glutsammler über den Bergen hin und her fliegen, aber keiner von ihnen wagte sich in die Nähe der Feuer speienden Mäuler. Stattdessen stürzten sie sich auf die Glutbrocken am Rand der Feuerflüsse, die schon abgekühlt waren.
Es war nicht zu übersehen, dass in den Hinterlanden die Waffenherstellung blühte. Überall rauchten die Essen der Freien Schmiede. Das Klirren der Hämmer auf den Ambossen erfüllte die Luft. Coryn war über eine Senke geflogen, in der mehrere Werkstätten nebeneinander waren. Er hatte gehört, wie ein Trupp Söldner mit den
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