Die Legende der Wächter 8: Die Flucht
Schmieden um den Preis für Kampfkrallen feilschte.
Als er wieder auf seinen Felsen zurückgekehrt war, fesselte etwas anderes seine Aufmerksamkeit – eine Art wogender dunkler Fluss am Horizont. Es war aber kein echter Fluss, denn als das schwarze Band am Mond vorbeizog, konnte Coryn springende, vierbeinige Umrisse unterscheiden. Solche Geschöpfe hatte er seinerzeit in Gwyndors Schmiedefeuer gesehen! Jetzt wandte eines von ihnen den Kopf in Coryns Richtung. Trotz der Entfernung konnte Coryn die schmalen grünen Augen erkennen.
Die Vierbeiner bewegten sich unglaublich geschmeidig. Ihr Zug wogte nun auf Coryns Felsen zu und der junge Schleiereulerich sah unzählige grüne Augenpaare leuchten. So etwas hatte er noch nie gesehen. Es war das grünste Grün, das man sich vorstellen konnte. Nicht mit dem samtigen Grün von Moos zu vergleichen oder mit dem Dunkelgrün der Tannen und auch nicht mit dem Blaugrün von Fichtennadeln. Nein, es sprühte und loderte wie grünes Feuer. Aber wo wollten die grünäugigen Vierbeiner hin?
Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten. Eine Herde anderer Tiere tauchte auf. Sie waren größer als die Flussläufer und trugen Äste auf den Köpfen.
Ein Flussläufer löste sich aus der Gruppe seiner Artgenossen. Er trabte in weitem Bogen um die Baumköpfe herum und trennte dann einen Nachzügler von seinen Gefährten. Der abgesonderte Baumkopf floh mit großen Sätzen. Ein zweiter Flussläufer kam dazu. Die beiden Flussläufer hielten sich jeder auf einer Seite des Baumkopfes. Der Baumkopf wurde langsamer. Er würde seine Herde nicht mehr einholen können.
Coryn stieß sich von seinem Felsen ab. Er war neugierig, wie die Jagd ausgehen würde. Die Flussläufer verfolgten eine ausgeklügelte Taktik. Die beiden, die den Baumkopf in die Mitte genommen hatten, schienen absichtlich nur so schnell zu laufen wie ihr Opfer. Vielleicht wollten sie den Baumkopf müde machen, damit er sich nicht mehr richtig wehren konnte. Auch manche Vögel jagten nach dieser Methode. Jetzt kam der Baumkopf an eine Stelle, wo der Schnee geschmolzen war. Er senkte den Kopf und begann zu grasen.
Ist er gaga? Er schwebt in Lebensgefahr! Aus dem Augenwinkel sah Coryn einen Vogel. Den Fluggeräuschen nach schien es ein Rabe zu sein.
Die anderen Flussläufer hatten den Baumkopf umzingelt und schlichen sich geduckt an ihn heran. Der Baumkopf hielt inne und schaute sich um. Wittert er die Flussläufer denn nicht? Der Baumkopf graste weiter. Einer der Flussläufer gab seinem Nachbarn mit dem Schwanz ein Zeichen. Das Zeichen machte die Runde. Die Flussläufer kreisten den Baumkopf noch dichter ein.
Jetzt endlich schreckte der Baumkopf hoch und bäumte sich in panischer Angst auf. Vier Flussläufer sprangen ihn an und rissen ihn zu Boden. Im Nu klaffte in seiner Flanke eine große Wunde und auch seine Schulter blutete. Trotzdem kam er schwerfällig wieder auf die Beine. Er starrte seine Angreifer an, als wollte er sagen: Ich kann zwar nicht mehr weglaufen, aber seht mir wenigstens ins Gesicht, bevor ihr mich tötet. Coryn war wie gebannt. Sein Magen kribbelte vor Aufregung. Diese Art Verständigung zwischen Jäger und Gejagtem war ihm neu.
Wieder sprangen zwei Flussläufer den Baumkopf an und schlugen ihm die Zähne in den Bauch. Die dünnen Beine des Baumkopfs knickten ein, er brach zusammen. Tot war er aber noch nicht, sein Atem ging stoßweise. Der Flussläufer, der den Baumkopf zu Beginn der Jagd von der Herde getrennt hatte, tauchte wieder auf und lief um das sterbende Opfer herum. Coryn flog noch näher heran. Der Flussläufer senkte den Kopf und die Blicke der beiden verschmolzen miteinander. Das Ganze hatte etwas Feierliches, wie ein Ritual.
Coryn war jetzt ganz sicher, dass sich Jäger und Beute miteinander verständigten. Der Flussläufer wirkte beinahe unterwürfig, als müsste er den Baumkopf erst darum bitten, ihm das Leben nehmen zu dürfen. Der sterbende Baumkopf schien stumm zu erwidern: Ich bin ein würdiges Opfer. Mein Fleisch wird dir Kraft schenken.
Urplötzlich schnappte der Flussläufer zu. Der Baumkopf tat einen letzten, röchelnden Atemzug und lag still.
Coryn konnte noch gar nicht begreifen, was er da miterlebt hatte. In seinem jungen Leben hatte er schon viele Beutetiere getötet, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, ihnen vorher in die Augen zu schauen. Er hatte gar nicht darüber nachgedacht, dass sie seinetwegen ihr Leben ließen. Doch was hier geschehen war,
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