Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
und zündete den Kerzenhalter an, der dort stand; dann hob er ihn hoch, um sich in dem verwüsteten Raum umzuschauen. Burrich konnte den Blick nicht von Nessel abwenden. »Sie ist meine Tochter«, wiederholte er tonlos, beinahe trotzig.
»Hör auf zu lügen«, sagte der vierschrötige Mann verächtlich. »Sie ist aus dem Samen des Weitseher-Bastards geboren und mit demselben Makel behaftet wie er.«
»Ganz richtig. Das ist sie.«
Alle Blicke flogen zur Tür. Molly stand dort, kreidebleich und schweratmend. An ihrer rechten Hand klebte Blut. Sie drückte mit beiden Armen einen großen Holzkasten an die Brust, aus dem ein bedrohliches Summen ertönte.
»Die Schlange, die ihr mir nachgeschickt habt, ist tot«, erklärte sie hart. »Wie auch ihr es bald sein werdet, wenn ihr nicht eure Waffen niederlegt und meinen Mann und mein Kind gehen laßt.«
Der Stämmige grinste ungläubig, und Rotbart hob sein Schwert.
Mollys Stimme bebte kaum merklich, als sie sagte: »Das Kind besitzt natürlich die Alte Macht, so wie auch ich. Meine Bienen werden uns nichts tun. Aber fügt einem von uns ein Leid zu, und sie werden sich erheben und euch folgen und nicht von euch ablassen, bis sie euch totgestochen haben. Glaubt ihr, eure Schwerter werden euch gegen meine Bienenschwestern helfen?« Sie schaute von einem zum anderen, und ihre Augen funkelten gefährlich. Eine Biene fand den Weg aus dem Kasten und summte aufgeregt durch den Raum.
Rotbarts Augen folgten ihr wie gebannt. »Das glaube ich nicht.«
Burrich maß mit Blicken die Entfernung zu seinem Schwert, als Molly leise, beinahe kokett fragte: »Du glaubst es nicht?« Mit einem seltsamen Lächeln stellte sie den Kasten vorsichtig auf den Boden und schaute Rotbart unverwandt an, während sie den Deckel aufklappte, die Hand hineinsteckte und sie langsam wieder herauszog, umhüllt von wimmelnden Bienen. Sie schloß den Deckel, richtete sich auf und streckte Rotbart die Hand entgegen, wie um ein Geschenk zu überreichen.
»Er mit dem roten Bart, kleine Schwestern«, sagte sie ruhig.
Es dauerte einen Augenblick, doch als sich die Bienen nach und nach lösten, flogen sie unfehlbar auf Rotbart zu. Er zuckte, als erst die eine, dann die nächste, an seinem Kopf vorbeisummte, wieder zurückkehrte und ihn umkreiste.
»Ruf sie zurück, oder wir töten das Kind!« brüllte er und wedelte dabei ziellos mit dem Kerzenleuchter.
Doch Molly bückte sich, hob den Kasten vom Boden auf und hielt ihn so hoch, wie ihre Kräfte es erlaubten. »Ihr werdet sie ohnehin töten!« schrie sie schrill. Sie schüttelte den Kasten, und das aufgeregte Summen im Innern wurde zu einem Brausen. »Kleine Schwestern, sie wollen mein Kind ermorden! Wenn ich euch freilasse, nehmt Rache!« Sie hob den Kasten noch ein Stück höher, um ihn auf den Boden zu schmettern. Der Verwundete zu ihren Füßen stöhnte erbarmungswürdig.
»Halt!« rief der Stämmige. »Ich gebe dir das Kind!«
Molly erstarrte. Für jeden war deutlich zu erkennen, daß sie den schweren Kasten nicht mehr lange halten konnte, und man hörte es auch an ihrer gepreßten Stimme, als sie befahl: »Gib das Kind meinem Mann, dann laßt beide zu mir kommen, oder ihr werdet eines grausamen Todes sterben.«
Der Stämmige schaute unschlüssig zu Rotbart. Den Armleuchter in der einen, das Schwert in der anderen Hand, hatte dieser sich vom Tisch zurückgezogen, aber die Bienen umsummten ihn hartnäckig. Seine Versuche sie wegzuschlagen, machten sie nur noch entschlossener. »König Edel wird uns töten, wenn wir versagen!«
»Dann sterbt durch meine Bienen«, sagte Molly. »In diesem Kasten sind Hunderte von ihnen«, erklärte sie mit schmeichelnder Stimme. »Sie kriechen in eure Hemden, in den Hosenbeinen hinauf, verfangen sich in eurem Haar. Sie sind in euren Ohren, eurer Nase, und wenn ihr schreit, drängen sie in euren Mund, Hunderte summender, pelziger Körper, und sie stechen, bis eure Zunge so angeschwollen ist, daß ihr daran erstickt!«
Diese Schilderung gab den Ausschlag. Der vierschrötige Mann ging zu Burrich und drückte ihm das aus Leibeskräften schreiende Kind in die Arme. Rotbart schaute finster drein, erhob jedoch keine Einwände. Burrich nahm das Kind, dann bückte er sich nach seinem Schwert und hob es auf.
Molly funkelte Rotbart an. »Du. Stell dich neben ihn. Burrich, geh mit Nessel nach draußen. Bring sie zu der Stelle, wo wir gestern Minze gepflückt haben. Wenn sie mich zum Äußersten zwingen, will ich nicht, daß sie es
Weitere Kostenlose Bücher