Die Legende
Usurpatoren. Was die Drenai-Kultur ausmacht, erscheint in den bislang sechs Romanen höchstens am Rande. Sie kristallisiert sich nur in der Abgrenzung zu den chinesischen Kiatze und den mongolischen Nadir heraus und wird gleichsam zur Chiffre der westeuropäischen Welt, oder genauer, eines ihrer Aspekte. Die Helden der Romane werden vom Schicksal gebeutelt, bis sie auf einem Weg vorwärtsstolpern, der ihnen scheinbar vorgezeichnet ist. Die Determiniertheit des Menschen durch das Schicksal wird anhand von Druss und Waylander besonders deutlich, beides Männer, die versuchen, ihr Leben zu ändern. Doch ihre Bestimmung läßt sie nicht los: Druss und Waylander verlassen ihre idyllischen Eremitagen, um ihr Handwerk -das Töten - wiederaufzunehmen. Ähnlich ergeht es auch Tenaka Khan, der sich in die Rolle des Einigers der Nadirhorden gedrängt sieht, um den Drenai zu helfen, und dabei allmählich in die Rolle des Toreros gegenüber dem drenaischen Stier hineinwächst. Generelle Themen wie Überlegungen zur Religion und zur Wahl der Mittel finden in den Romanen ebenso Platz wie das Auseinanderklaffen von Propaganda und Realität, das ja ein zentrales Element des Medienzeitalters ist: Der berühmte Held Karnak ist in Wahrheit ein geltungssüchtiger Hau-ruck-Diplomat, der >blonde Held< Beltzer ein glatzköpfiger, rotbärtiger Trunkenbold.
Wenn es stimmt, daß ein Dichter seine eigene Persönlichkeit oder auch nur Facetten davon in seinen Werken widerspiegelt, so sind es zwei Dinge, die dem Leser auffallen: Da ist zum einen das immer wiederkehrende Motiv der Verschmelzung von Mensch und Tier, sei es durch Schamanenmagie, Heiltechnologie oder spezifische technologisch-magische Vorrichtungen, und zum anderen die immer wieder thematisierte Angst vor dem Krebs als einer schleichenden, tückischen Krankheit, von der Kenntnis zu haben so gar nicht in das Umfeld der Erzählungen paßt. Gemmell schreibt hier von Ängsten, die er selbst so empfinden mag und die er auch in seinem Publikum repräsentiert sieht. Auch das Handlungsmuster und das Personal der einzelnen Erzählungen folgt weitgehend ähnlichen Mustern, wobei es Gemmell hervorragend versteht, jedes einzelne mit einem unverwechselbaren Merkmal zu versehen. Hierin liegt auch die Stärke der Drenai-Saga: Sie schafft Individualität trotz Schematismen, verwendet eine kraftvolle Sprache und nutzt jede Gelegenheit, den Leser aufzurütteln, greift Lebensfäden einzelner Personen auf und verfolgt sie unbeirrt bis zu ihrem Ende, das manchmal unverhofft, manchmal absehbar, aber immer unvermeidlich kommt. Gemmell packt in seine Geschichten alles hinein, was ihn bewegt, berührt oder was ihm notwendig erscheint, läßt Sympathien und Antipathien wachsen und wieder verdorren und bleibt doch immer ehrlich und geradlinig in seinen Aussagen. Es lohnt sich in jedem Fall, dem Reich der Drenai einen Besuch abzustatten.
Diese Enzyklopädie möchte dabei eine kleine Hilfestellung geben, um sich in den vielen Namen und Zeitepochen nicht heillos zu verirren. Bei der Erstellung des Materials waren aber vor allem zwei Problemfelder zu beachten, die sich auch der Leser vor Augen halten sollte: Zum ersten läßt Gemmell es bei allem epischen Talent an jener akribischen Sorgfalt fehlen, die Tolkien bereits zur Kunstform erhoben hat: So hat der eine Held in einem einzigen Buch mal blaue, mal grüne Augen, fand an jener Festung vor langer Zeit eine bekannte Schlacht statt, während ihr Bau an anderer Stelle in eine viel spätere Zeit verlegt wird und sie angeblich niemals umkämpft wurde usw. Dies sind kleinere Klippen, die während der Arbeit an dieser Enzyklopädie zu umschiffen waren. Wir haben uns in Zweifelsfällen jeweils bemüht, der plausibelsten
Version zu folgen oder die Informationen zu einem sinnfälligen Ganzen zu verbinden.
Das zweite und größte Problem war jedoch die exakte Datierung: Die Historie der Drenai und der anderen Völker vollzieht sich in den Romanen Gemmells extrem offen, es existieren nur vage Zeitlinien und -angaben. Um dies zu vereinheitlichen, haben wir uns entschieden, einen (zugegebenermaßen willkürlich) festgesetzten Zeitpunkt als Ausgangsbasis für die vorliegende Datierung zu wählen, der jedoch in den Romanen gut belegt ist und als temporaler Anker für die Drenai plausibel erscheint: König Oriens großer Siegeszug (aus welchem Anlaß bleibt allerdings bisher Gemmells Geheimnis). Daher sind zwar die Intervalle zwischen den einzeln aufgeführten Ereignissen
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