Die Leibwächterin (German Edition)
bestellte ein Bier und vergewisserte mich, dass die Flasche wirklich fest verschlossen war, bevor der Kellner sie öffnete. Er funkelte mich böse an, sagte aber nichts. Ich setzte mich an den Fenstertisch und wartete. Es war bereits halb neun.
Nach etwa einer Viertelstunde betrat eine Männerrunde die Bar, offenbar Stammgäste, denn der Kellner begrüßte sie wie alte Bekannte. Keiner der Männer kam mir bekannt vor. Da sich die Theke in der Fensterscheibe spiegelte, sah ich, dass eine volle Wodkaflasche daraufgestellt wurde. Sobald die Gläser gefüllt waren, brachten die Männer einen Toast aus. Dann erschienen ein Teller Salzgurken und Schüsseln mit Honig und saurer Sahne auf der Theke. Die Männer lärmten, der Kellner ließ sich zu einem Glas Wodka einladen. Anfangs beachtete mich niemand.
Draußen ging nur selten jemand vorbei. In dieser Straße mit Wohnhäusern für die gehobene Mittelschicht gab es außer einem kleinen Lebensmittelladen und der Bar Swoboda keine Geschäfte. Die Wohnungen, die Anita besaß, waren keine Luxusapartments, aber für einen normalen Moskauer Lohnempfänger dennoch unbezahlbar. Nach finnischer Art hatte jede Wohnung eine eingebaute Sauna, was den Preis in die Höhe trieb. Womöglich zählten auch die Männer, die in meinem Rücken lärmten, zu Anitas Mietern. Im verzerrten Spiegelbild auf der Fensterscheibe sah ich, dass einer von ihnen mich anstarrte. Ich trank einen Schluck Bier, stellte das Glas ab, zog es aber gleich darauf näher heran, denn ich sah, dass der Mann an meinen Tisch kam. Er bot mir eine Zigarette an, die ich wortlos ablehnte. Dann redete er in irgendeinem russischen Dialekt auf mich ein. Ich brauchte nicht einmal so zu tun, als verstünde ich kein Russisch, denn ich kapierte tatsächlich nicht, was er sagte. Ein zweiter Mann kam dazu. Ich war zwischen den beiden eingekeilt, unternahm aber nichts dagegen, weil ich unbedingt auf meinem Posten bleiben wollte. Vielleicht konnte ich mich irgendwie mit Anita versöhnen, sodass ich wenigstens eine neutrale Empfehlung von ihr bekam. Nun trat ein dritter Mann ans Fenster, offenbar in der Absicht, die beiden anderen von mir wegzulotsen.
Im selben Moment kam Anita aus dem Haus. Sie starrte entgeistert auf die leere Straße. Offenbar hatte sie angenommen, dass der Wagen auf sie wartete. Als sie wieder hineinging, vermutlich um Schabalin anzurufen, trank ich schnell mein Bier aus. Ich hasste es, zu Kreuze zu kriechen, zumal ich wusste, dass ich von Anita einiges zu hören bekäme, ging aber widerstrebend hinaus. Bald musste Anita kommen, dann würden wir die Sache klären. Die Haustür war aus solidem Holz, sie hatte nicht einmal einen Türspion. Auf der Straße war kein Auto zu sehen, nur ein einsamer Hund streunte zwischen den Häusern herum.
Das Nächste, woran ich mich erinnerte, war der Moment, in dem ich in einem unbekannten Zimmer aufwachte, weil mich eine fremde Frau mit einer fürchterlichen Stimme anschrie. Mir tat der Kopf weh, es roch nach Erbrochenem. Die Uhr an meinem Handgelenk zeigte fast drei Uhr. Es war heller Nachmittag, ich hatte mehr als zwölf Stunden aus meinem Leben verloren.
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2
Die schreiende Frau war eine Empfangsdame des Hotels, die mir erklärte, die Frist zum Auschecken sei schon vor zweieinhalb Stunden abgelaufen und ich müsse sowohl für die überzähligen Stunden als auch für die Reinigung des Fußbodens, auf den ich mich übergeben hatte, einen Zuschlag zahlen. Ich versprach, das Zimmer spätestens um sechs Uhr zu räumen und alles zu bezahlen; ich wollte die Frau so schnell wie möglich loswerden und meine Gedanken sortieren. Mir war schwindlig und übel, aber offenbar hatte ich nichts mehr im Magen, was hochkommen konnte. Als die Frau nach einer letzten Tirade über die versoffenen Finnen endlich verschwand, stand ich auf. Ich hatte entsetzlichen Durst. Nach einigem Überlegen erinnerte ich mich, dass ich am Tag zuvor eine Cola und eine Literflasche Mineralwasser gekauft und in meinen Rucksack gesteckt hatte. Und der Rucksack war … dort, an der Wand. War auch alles andere noch vorhanden? Ich hatte in meinen Kleidern geschlafen, die Schuhe und die Lederjacke lagen auf dem Fußboden. Mein Handy steckte in der Seitentasche der Lederjacke, die Geldbörse in der Brusttasche. Sie enthielt die wenigen Rubel, die mir geblieben waren, nachdem ich das Bier bezahlt hatte. Meine Waffe lag unter der Bettdecke. Ich war also nicht ausgeraubt worden.
Ich trank
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