Die Leibwächterin (German Edition)
Eine kleine Lohnabhängige wie ich solle ja nicht versuchen, ihr auf der Nase herumzutanzen, giftete sie. Ich würde nicht kündigen, sondern sie würde mich feuern. Ich brüllte zurück, das sei mir völlig egal. Ich wusste, dass ich feuerrot war und heftig schwitzte. Nur mühsam konnte ich mich beherrschen, nicht die Kleiderständer umzuwerfen und die Spiegel im Verkaufsraum in Stücke zu treten.
Die Verkäuferinnen sahen uns entsetzt an, und aus dem Hinterzimmer kam der Wächter des Pelzgeschäfts, ein Hüne mit schwarzem Schnurrbart. Er roch penetrant nach Sauerkraut. Natürlich verstand er unser finnischsprachiges Wortgefecht ebenso wenig wie die Verkäuferinnen, aber jeder konnte sehen, wer von uns beiden das Geld hatte. Der Wächter kam auf mich zu.
«Idite» , sagte er auf Russisch. Soweit ich wusste, hieß das «Verschwinden Sie». Immerhin war er so höflich, mich zu siezen.
«Bilde dir ja nicht ein, dass ich dir eine Empfehlung schreibe! Ich werde dafür sorgen, dass du nie mehr einen Auftrag bekommst, jedenfalls nicht in Finnland!», schrie Anita aufgebracht.
«Du bist nicht so einflussreich, wie du denkst», brüllte ich zurück, und als der Wächter mich am Arm packte, war ich drauf und dran, den Kerl gegen den nächsten Spiegel zu stoßen. Am Eingang ließ ich mir meine Waffe aushändigen, ohne auf die verwunderten Fragen der Sicherheitsbeamten einzugehen, wo meine Auftraggeberin sei. Auf meinen Reisen mit Anita hatte ich ein wenig Russisch gelernt; mein Lieblingswort war durak , Idiot. Das fauchte ich nun, weil einer der beiden versuchte, mich aufzuhalten. Als ich auf die Straße trat, stieg unser Chauffeur aus, um die Türen zu öffnen, doch ich ging wortlos an ihm vorbei. Vom Einkaufszentrum zum Hotel hatte ich nur einen Kilometer zu laufen, da ich den Stadtplan von Moskau längst im Kopf hatte, fand ich mühelos den Weg. Ich fuhr mit dem Aufzug in den neunten Stock. Anita und ich hatten wie immer nebeneinanderliegende Zimmer mit einer Verbindungstür. Anita konnte die Vorstellung nicht ertragen, mit mir im selben Zimmer zu übernachten, aber ich musste in Hörweite sein. Oft benutzten wir zur Sicherheit sogar ein Babyphon.
An sich hatte ich meine Kündigung glänzend getimt. Es war der erste September, das Gehalt für August war in der Vorwoche auf mein Konto eingegangen. Es würde Anita ganz schön fuchsen, mich bis zum letzten Tag bezahlt zu haben. Bestenfalls würde sie noch einen Trick finden, mir das Urlaubsgeld vorzuenthalten. Ich ging ins Internet und sah nach, ob ich schon heute zurückfliegen konnte. Doch es gab nur noch in der billigsten Klasse freie Plätze, nicht in der Business Class, in der Anita und ich flogen, und die Umbuchung hätte mich eine ziemliche Stange Geld gekostet. Also rief ich am Bahnhof an. Der Nachtzug war voll besetzt, aber am nächsten Tag war noch ein komplettes Schlafabteil für drei Personen frei. In diesem Abteil reservierte ich einen Platz und rief anschließend im Nachbarhotel an, wo ich tatsächlich ein Zimmer für eine Nacht bekam. Ich packte meine Sachen und verschwand, ohne Anita eine Nachricht zu hinterlassen. Sooft ich an den Luchspelz dachte, stieg finstere Wut in mir auf; ich wollte von meiner nunmehr ehemaligen Auftraggeberin nichts mehr wissen. An der Rezeption knallte ich den Zimmerschlüssel auf die Theke und winkte ab, als der Empfangschef mir etwas nachrief. Es interessierte mich nicht. Auch die Taxifahrer wimmelte ich ab. Ich ging zu Fuß zu dem Hotel, in dem ich noch nie übernachtet hatte. Mein Zimmer war klein und verraucht, aber für eine Nacht würde ich es aushalten. Kurz darauf klingelte mein Handy: Anita. Ich nahm nicht ab. Nach einer Weile ging ich ins Hotelrestaurant und bestellte eine Vorspeisenplatte: Blini, Kaviar, Salzgurken, Honig, saure Sahne und Pilzsalat. Und Wodka. Auf der Getränkekarte war der georgische Rotwein gestrichen, offenbar eine Folge des Kriegszustandes. Dafür gab es litauisches Starkbier. Ich trank das erste Glas in ein paar Zügen leer und bestellte das nächste.
Ich hatte Anita von Anfang an nicht gemocht, mich von dieser Abneigung aber nicht in meiner Arbeit beeinträchtigen lassen. Vor sieben Jahren hatte ich meine Ausbildung an der Sicherheitsakademie Queens in New York mit Bestnote abgeschlossen, und da weibliche Bodyguards in Finnland dünn gesät sind, hatte ich mir die Aufträge aussuchen können. Anita zahlte doppelt so viel wie meine bisherigen Auftraggeber. Sie reiste mindestens einmal im Monat
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