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Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Titel: Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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nur ihnen bekannten Naturgesetz folgend immer dann einsetzte, wenn Stillstand ihre Nervosität zu steigern schien. Innehalten war ihre Sache nicht. Pausen hätten zum Denken verleiten können. Immer weiter mußte es gehen. Bis zum anvisierten Endsieg. Erst dann würden sie Ruhe geben. Nur so und niemals anders konnten sich die Dinge entwickeln. Die Frage für ihn, dessen Herz nun kaum mehr schlug, war nur, waren sie überhaupt fähig jemals aufzuhören. Krönte nicht der eigene Tod das Ende eines jeden Amoklaufs?
    Zu seiner Überraschung gab es kein Brüllen. Zwei Stimmen flüsterten leise miteinander.
    Und außerdem, warum sollten sie es ausgerechnet auf ihn abgesehen haben? Schließlich lagen sie hier im Keller der Frankfurter Großmarkthalle zu Hunderten oder mehr. Vielleicht lag das Schlimmste auch schon hinter ihnen, als sie gestern weit nach Einbruch der Dunkelheit aus ihren Wohnungen im Westend und der Innenstadt geholt und wie Vieh durch die Straßen getrieben worden waren. Haßerfüllte Gesichter, auch einige bekannte darunter, die er bislang als wohlgesonnen eingeordnet hatte, ließen den Zug zu einem Spießrutenlauf werden. Vereinzelt flogen Gegenstände. Geschmissen von jenen, denen Häme nicht ausreichte. Einige Meter vor ihm war ein Greis unter der Wucht einer halbvollen Bierflasche blutend unter dem Gejohle einiger Mitbürger zusammengebrochen. Aber es gab auch solche, die sich beschämt abwandten. Sein kleines Lederköfferchen hatte als Schutzschild herhalten müssen, um einen kleinen Blumentopf abzuwehren, der aus der ersten Etage eines Wohnhauses, dessen Balkon eine Hakenkreuzflagge zierte, geflogen kam.
    Nach einer halben Ewigkeit setzten sich die Stiefel wieder in Bewegung und entfernten sich. Das ging in so manierlicher Art und Weise vor sich, daß er sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, der Uniformträger mußte sich durch irgendetwas, das sich seiner Kenntnis entzog, Befriedigung verschafft haben. Die Gefahr war vorüber.
    Erschrocken zuckte seine Hand zurück. Nie zuvor hatte er einen leblosen Menschen berührt, obschon die Zeit Tote in unvorstellbarer Zahl generierte. Er mußte länger geschlafen haben als vermutet, denn die Körpertemperatur des so übel Zugerichteten hatte sich schon fast der Kälte des Kellers angepaßt. Er schätzte sie auf elf, zwölf Grad. Vielleicht vierzehn, mehr nicht. Zum ersten Mal nahm er den modrigen Geruch der Matratze wahr. Es roch nach Urin und Verwesung. Angewidert drehte er sich auf den Rücken. Sofort krampfte sich sein Magen zusammen, und er legte sich auf die Seite, sein Gesicht von der Leiche abgewandt.
    „Was werden sie mit uns machen?“ Es war ein kaum verständliches Flüstern, das sein Nachbar, der halb auf seiner Matratze lag, mit geschlossenen Augen von sich gab. Es waren, abgesehen vom Todesröcheln des anderen, die ersten menschlichen Laute seit Stunden, seit die Wachmannschaft die Hauptbeleuchtung ausgeschaltet und gedroht hatte, jeden zu erschießen, der auch nur einen Mucks von sich gibt. In der Stille ähnelte die Frage einer Gewehrsalve.
    Vorsichtig spähte er nach den Wächtern. Keiner war zu sehen, und so nahm er all seinen Mut zusammen: „Bitte?“
    „Was sie mit uns wohl machen werden?“ Der Mann mußte so um die vierzig sein, vielleicht auch jünger. Sorgen und Entbehrungen hatten die Gesichter vorzeitig altern lassen.
    Aber warum wurde ausgerechnet an ihn eine solche Frage herangetragen? Er war doch derjenige, der keine Ahnung hatte, der sich vor allem abschottete, dem Miriam manchmal die neusten Entwicklungen darlegte, obwohl er sich dagegen sträubte wie die Katze vor dem Wasserbad. Und doch suchte jetzt jemand Trost bei ihm, dem Unwissenden, dem Inklusen. Es war eine völlig neue Erfahrung – selbst seine Tochter rannte immer zur Mutter –, die ihm aber umgehend die Kraft gab, diesem Unbekannten seinerseits Kraft und Hoffnung zu spenden: „Ich weiß es nicht, aber so schlimm wird es schon nicht kommen. Vielleicht sollen wir morgen früh Waggons für ihren Nachschub beladen.“
    Wie viel makabre Wahrheit in seinen Worten lag, sollte ihm nie mehr bewußt werden.
    „Für den Nachschub?“
    „Für die Front. Die haben doch jetzt einen Mangel an Arbeitskräften.“ Es klang logisch, was er sagte, und so berauschte er sich an seinen eigenen Worten. „Versuche, noch ein wenig zu schlafen, morgen werden wir alle Energie brauchen, damit sie mit uns zufrieden sind.“
    „Daß ich mal Waggons belade, hätte ich mir auch nie

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