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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Dichter und Krieger meiner Zeit zu werden – das war ein würdiges Ziel! Ein anderer Traum, den ich hegte, war, als Bühnendichter Ansehen zu erringen, wie Lope de Rueda. Zunächst aber musste ich dafür sorgen, dass ich nicht gefasst wurde und Spanien verließ, solange mein rechter Arm noch eine Hand hatte, damit ich mit Ruhm bedeckt und mit Reichtümern überhäuft zurückkehren konnte. Denn mir war ein glorreiches Schicksal bestimmt, daran glaubte ich felsenfest.
    Im Morgengrauen ritt ich nach Tembleque hinein, wo sich Maese Pedros Truppe, die auf dem größten Platz der Stadt lagerte, zum Aufbruch nach Süden bereit machte.
    »Ich lege mein Schicksal in Eure Hände, Maese Pedro«, sagte ich, als man mich zu ihm führte. Dann erklärte ich meinem alten Freund, weshalb ich Gefahr lief, meine rechte Hand zu verlieren, wenn ich nicht aus Kastilien floh.
    »Du brauchst nichts weiter zu sagen«, meinte er. »Du gehörst doch fast zur Familie.« Kurz musterte er mich von Kopf bis Fuß und sagte: »Aber so kannst du uns nicht begleiten. Wir müssen dich verkleiden.«
    Also wurde ich in Frauenkleidung gesteckt, bekam eine Perücke auf den Kopf und reiste mit meinem Schauspielerfreund und seiner Frau Doña Matilde als deren Tochter Nicolasa in einer Kutsche.
    Am ersten Tag warf ich immer wieder einen Blick über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass nicht der Büttel und seine Männer sich an meine bängliche Rückseite geheftet hatten. Doch als die Stunden vergingen und ich zum ersten Mal zu hoffen wagte, ich könne dem Arm des Gesetzes vielleicht tatsächlich entkommen, wanderten meine Gedanken zu meiner ersten Begegnung mit Maese Pedros Truppe auf der Plaza del Potro.
    Ich war auf dem Heimweg vom Colegio de Córdoba gewesen, der Jesuitenschule, auf der ich meine geringen Lateinkenntnisse lernte. Das Ensemble gab ein Stück über ein unglückliches Liebespaar zum Besten, das tanzend und singend starb und dabei wunderschön aussah. Nach dem Ende der Darbietung kamen die farbenfroh gekleideten Schauspieler, die sich als hohe und niedere Persönlichkeiten der Welt ausgaben (die Männer waren als Frauen gekleidet), hinter der improvisierten Bühne hervor und mischten sich unter die Zuschauer, um ihre für den Abend angesetzte Aufführung anzukündigen. Ich war gebannt. Wer waren diese Leute? Wie gelang ihnen diese magische Verwandlung?
    Ich rannte nach Hause, stürmte in die Küche, wo meine Mutter und meine Schwester Andreita einen cocido machten, und schrie: » Mamá, mamá, darf ich heute Abend zu dem Stück gehen, das die Schauspieler aufführen?«
    Meine Mutter warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. »Da hast du dich also herumgetrieben, anstatt gleich von der Schule heimzukommen und deine Hausaufgaben zu machen.«
    »Ach Mutter«, bettelte ich, immer noch außer Atem. »Es ist ein Stück über eine maurische Prinzessin, die mit ihrem christlichen Geliebten wegläuft. Ich muss es sehen.«
    »Genug, Miguel. Wo soll ich den maravedí hernehmen, damit du die Schauspieler sehen kannst? Geh und setz dich an deine Hausaufgaben.« Und sie widmete sich wieder dem Gemüseschneiden.
    »Mutter«, bat ich.
    » Basta, Miguel!« Abrupt stieß sie ihr Messer in den Kohlkopf, der für die Suppe bestimmt war. »Mach jetzt endlich deine Hausaufgaben.«
    In dem fensterlosen, muffigen Kämmerchen, das ich mit Rodrigo teilte, verkroch ich mich in die dunkelste Ecke. Da fand mich Andrea, wie ich an den Fingernägeln kaute und vor Wut zitterte. Sie hockte sich neben mich, legte mir einen Arm um die Schultern und sagte: »Ich habe ein paar reales gespart« (die verdiente sie mit Sticken und Stricken), »und ich möchte die Aufführung auch gerne sehen. Wir gehen zusammen hin. Und jetzt, Miguelucho, tu Mutter den Gefallen und mach deine Hausaufgaben.«
    Sofort schlug meine gedrückte Stimmung um. Glücklich küsste ich ihr das Gesicht und die Hände. »Danke, Andreita. Danke, Schwester.«
    Als ich dann abends die Schauspieler mit ihren exotischen Kostümen und den grell geschminkten Gesichtern auf der Bühne stehen sah und ihr Spanisch hörte, das gewandter, eindringlicher und mehrdeutiger war, als ich es je zuvor gehört hatte, und feststellte, dass die Darsteller zu jemand anderem als sie selbst wurden, hatte ich das Gefühl, zum ersten Mal frei atmen zu können. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als den Rest meines Lebens mit diesen Leuten zu verbringen. Wenn ich längere Zeit bei ihnen bliebe, dachte ich mir, würde ich

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