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Die Lennox-Falle - Roman

Die Lennox-Falle - Roman

Titel: Die Lennox-Falle - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Résistance«, unterbrach Villier. »Ihr wart ja beide in der Résistance, das habt ihr mir erzählt, wenn ihr mir auch nie gesagt habt, was ihr im einzelnen gemacht habt.«
    »Es ist besser, das zu vergessen«, sagte die Mutter. »Es war eine schreckliche Zeit - so viele, die man als Kollaborateure angeprangert und geschlagen hat, haben in Wirklichkeit nur ihre Familie beschützt.«
    »Aber dieser Mann im Theater, dieser verrückte Clochard! Er hat mich als seinen Sohn bezeichnet … Ich kann mich ja mit einem gewissen Maß an übertriebener Hingabe abfinden - das muß man in diesem Beruf, wenn es auch noch so unsinnig ist - aber sich vor meinen Augen umzubringen? Das ist doch Wahnsinn!«
    »Er war wahnsinnig, von all dem, was er durchlitten hat, in den Wahnsinn getrieben«, sagte Catherine.
    »Ihr habt ihn gekannt?«
    »Ja, sehr gut sogar«, erwiderte der alte Schauspieler Julian Villier. »Er hieß Jean-Pierre Jodelle, er war einmal ein vielversprechender junger Bariton an der Oper und wir, deine Mutter und ich, haben uns nach der Niederlage von 1940 verzweifelt bemüht, ihn zu finden. Aber es gab keine Spur von ihm. Und da wir
wußten, daß die Deutschen ihn entdeckt und in ein Konzentrationslager geschickt hatten, nahmen wir an, daß er wie Tausende andere auch tot war.«
    »Warum habt ihr versucht ihn zu finden? Was hat er euch bedeutet?«
    Die einzige Mutter, die Jean-Pierre je gekannt hatte, kniete neben seinem Garderobenstuhl nieder; ihre feingeschnittenen Züge ließen auch heute noch den großen Star erkennen, der sie einmal gewesen war; ihre blaugrünen Augen unter ihrem vollen weißen Haar bohrten sich förmlich in die seinen. »Nicht nur uns, mein Sohn«, sagte sie leise, »auch dir. Er war dein leiblicher Vater.«
    »Oh mein Gott! … Dann seid ihr -«
    »Deine leibliche Mutter«, unterbrach ihn Villier père ruhig, »war ein Mitglied der Comédie -«
    »Ein hervorragendes Talent«, unterbrach ihn Catherine, »sie wußte in jenen schrecklichen Jahren nicht, ob sie mehr die jugendliche Naive war, wie ihre Rollen es von ihr verlangten, oder eine Frau. Und es war wirklich eine schreckliche Zeit mit den Besatzungssoldaten überall. Sie war ein reizendes Mädchen, und für mich war sie wie eine jüngere Schwester.«
    »Bitte!« rief Jean-Pierre und sprang auf, während die Frau, die er bisher als seine Mutter betrachtet hatte, aufstand und sich neben ihren Mann stellte. »Das kommt alles so schnell, ist so erschütternd! Ich … Ich kann nicht denken!«
    »Manchmal ist es besser, eine Weile das Denken einzustellen, mein Sohn«, sagte der ältere Villier. »Bleib einfach eine Weile starr und betäubt, bis dein Verstand dir sagt, daß er bereit ist, das Neue aufzunehmen.«
    »Das hast du mir vor vielen Jahren häufiger gesagt«, sagte der Schauspieler mit einem betrübten und zugleich warmen Lächeln zu Julian, »immer hast du das gesagt, wenn ich Probleme mit einer Szene oder einem Monolog hatte und ich sie nicht richtig begreifen konnte. Du hast dann immer gesagt ›Lies die Worte einfach immer wieder, ohne dich so zu bemühen. Dann kommt es von allein.‹«
    »Das war ein gutgemeinter Rat, Julian.«
    »Ich war immer als Lehrer besser denn als Schauspieler.«

    »Richtig«, sagte Jean-Pierre leise.
    »Wie bitte? Du gibst mir recht?«
    »Ich meinte nur, Vater, daß du, wenn du auf der Bühne warst, du … du -«
    »Da war immer ein Stück von dir, das sich auf die anderen konzentriert hat«, kam ihm Catherine Villier zu Hilfe und tauschte wissende Blicke mit ihrem Sohn - der nicht ihr Sohn war.
    »Ah, ihr beiden verschwört euch wieder gegen mich, das geht ja schon seit Jahren so, wie? Zwei große Stars, die zu einem kleineren Talent nett sind … Gut! Das hätten wir dann hinter uns … Jetzt haben wir ein paar Augenblicke nicht an heute abend gedacht. Jetzt können wir vielleicht reden.«
    Schweigen.
    »Um Himmels willen, sagt mir, was passiert ist!« rief Jean-Pierre schließlich aus.
    In diesem Augenblick klopfte es an der Tür; gleich darauf trat der alte Nachtwächter des Theaters ein. »Entschuldigen Sie die Störung, aber ich dachte, Sie sollten das erfahren. An der Bühnentür warten immer noch Reporter. Sie wollen weder der Polizei noch mir glauben. Wir haben gesagt, Sie seien schon vor einer Weile durch den Haupteingang weggegangen, aber sie lassen sich nicht überzeugen. Sie können jedenfalls nicht herein.«
    »Dann werden wir noch eine Weile hierbleiben, wenn nötig die ganze Nacht - ich

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