Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Konturen der Häuser und Molen des finnischen Ufers. In diesem Augenblick keimte in mir eine solidarische Sympathie für den Tramp Steamer auf. Ich empfand ihn wie einen unglücklichen Bruder, ein Opfer menschlicher Nachlässigkeit und Gier, auf die er mit der halsstarrigen Entschlossenheit antwortete, auf sämtlichen Meeren die unansehnliche Kielspur seiner Schlingen von Hafen zu Hafen weiterzuziehen. Ich sah, wie er sich in die Bucht hinein entfernte, auf der Suche nach einer unauffälligen Mole, um ohne großes Manövrieren und, vielleicht, auf billigstmögliche Art anzulegen. Am Heck hing die Flagge von Honduras. Ein durch das Werk der Wellen verwischter Name ließ kaum seine letzten Buchstaben erkennen: …ción. Es war sehr wohl möglich, dass dieser alte Frachter wie durch eine Ironie, die eher einem Hohn glich, Alción, Eisvogel, hieß. Unterhalb des beschädigten Schriftzugs konnte man, nicht ohne Mühe, den Heimathafen lesen: Puerto Cortés. Meine Erfahrung in Meeresdingen, im verworrenen, schäbigen Netz des Seehandels war zwar beschränkt, jedoch ausreichend, um mich keine albernen Erwägungen über die Kontraste anstellen zu lassen, die sich aus der Erscheinung eines elenden Karibikfrachters inmitten eines so vergessenen, harmonischen nordeuropäischen Panoramas ergaben. Der honduranische Frachter hatte mich wieder in meine Welt zurückversetzt, ins Zentrum meiner Erinnerungen – hier, zuäußerst auf der Halbinsel Vironniemi, hatte ich nichts mehr verloren. Zum Glück trat der Fahrer, der aussah wie Lemminkainen, zu mir, um mich auf den Himmel aufmerksam zu machen, an dem sich in Schwindel erregendem Tempo die bleiernen Wolken türmten und einen unmittelbar bevorstehenden Temperatursturz ankündigten. Als ich wieder im Hotel war, befragten mich meine Kollegen zu dem Erlebnis, von dem ich vorher so ausgiebig gesprochen und so viel erwartet hatte. Ich redete mich mit ein paar wenigen konventionellen und nichts sagenden Worten heraus. Der Tramp Steamer hatte mich in einer Wirklichkeit zurückgelassen, die so fern von dieser skandinavischen und baltischen Gegenwart war, dass es besser war zu schweigen. Eigentlich gab es wenig zu sagen. Dort wenigstens.
O ft rechnet das Leben in einer Weise mit einem ab, über die man besser nicht einfach hinweggeht. Solche Abrechnungen sind wie Bilanzen, die es uns anbietet, damit wir uns nicht zu sehr in der Welt der Träume und der Fantasie verlieren und wieder zur warmen, täglichen Abfolge der Zeit zurückfinden, wo sich in Wirklichkeit unser Schicksal abspielt. Diese Lektion wurde mir etwas mehr als ein Jahr nach meinem Besuch in Finnland und meiner dortigen Begegnung erteilt, einer Begegnung, die zu einem immer wiederkehrenden Stoff meiner Albträume wurde. Ich weilte als Presseberater einer Kommission von Torontoer Technikern in Costa Rica, die eine Studie für den Bau einer Pipeline von einem Hafen, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere, ins Landesinnere erstellten. Freunde, die ich auf einer stürmischen, sich zwischen Alkohol und mehr als zweifelhaften Nachtklubs abspielenden Konferenz kennen gelernt hatte, hatten mich in San José zu einer Jacht-Kreuzfahrt durch die Nicoya-Bucht bei Punta Arenas eingeladen. Ich nahm an, erfreut, dem albernen Geplauder meiner Arbeitskollegen und den nicht enden wollenden Erinnerungen an ihre Heldentaten im Golf zu entkommen, etwas, was mir sogleich Brechreiz verursacht. Einer der Gastgeber, namens Marco, mit dem ich in der vorangegangenen Nacht nicht wenige Theorien über den Alkohol und seine Folgen in verschiedenen Verhaltensbereichen geteilt hatte, holte mich mit seinem Auto ab. In etwas über einer Stunde wären wir in Punta Arenas. Der Besitzer der Jacht erwarte uns dort mit seiner Frau, die auch an der Spazierfahrt teilnehmen werde. Etwas in Marcos Worten zeigte mir, dass er diesbezüglich mehr wusste, es aber für sich behielt, vielleicht um mir eine Überraschung zu bereiten. Ich beherrschte meine Neugier, und mit Erinnerungen an unsere klägliche Irrfahrt in der Nacht zuvor verbrachten wir den Rest der Fahrt. Als wir in Punta Arenas ankamen, sah ich mich wieder dem Wasser des Pazifik gegenüber, das immer grau ist und immer bereit, seine Stimmung zu wechseln, in Valparaiso ebenso wie in Vancouver. Es war sehr heiß und feucht, was meine Nerven entspannte, sodass ich mich jetzt darauf einrichten konnte, den Ausflug aufs Meer zu genießen, über den ich mir sehr richtige Vorstellungen gemacht hatte,
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