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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Álvaro Mutis
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versuchten. »Diese armen Kerle kommen nicht einmal bis Panama«, bemerkte die Frau laut, mit einer gewissen halb mütterlichen, halb kindlichen Traurigkeit in der Stimme. »Vor zwei Jahren sah ich sie in Helsinki«, antwortete ich, ohne recht zu wissen, weshalb. »Wo ist das denn?«, fragte sie etwas erstaunt. »In Finnland. Im Baltikum, nahe dem Nordpol«, musste ich ihr schließlich erklären, als ich feststellte, dass ihr diese Namen wenig oder gar nichts sagten. Die Anwesenden schauten mich neugierig, fast misstrauisch an. Ich hatte nicht die geringste Lust, ihnen die ganze Geschichte zu erzählen. Außerdem war sie nicht für sie. Sie gehörte nicht ihnen. Die Episode mit dem Frachter, mein Schweigen und die beschwerliche Verdauung all dessen, was wir zu uns genommen hatten, ließen das Gespräch verstummen, bis wir anlegten. Wir stiegen aus und gingen direkt zu unserem Wagen, wo wir uns von dem Paar mit den erstbesten Worten verabschiedeten, die uns in den Sinn kamen, und während sie sich ein leichtes Baumwollstrandkleid über den Kopf streifte, sagte sie, nicht ohne leichte Ironie, zu mir: »Wenn Sie etwas Romantisches schreiben, schicken Sie es mir, nicht wahr? Und wäre es auch nur als Dank für die Languste.« Das alte, wohl bekannte Spiel, dachte ich. Das von Nausikaa und Madame Chauchat. Manchmal reizvoll, aber sehr oft verwirrend und unnütz. Auf dem Weg nach San José merkte ich, dass ich den Namen unserer schönen Kreuzfahrtbegleiterin gar nicht kannte. Ich mochte Marco nicht danach fragen. Es war besser, diese beiden anonymen Erscheinungen, die von da an in meinem Geist nicht mehr zu trennen sein sollten, in der Erinnerung zu behalten: die botticellische Liebenswürdige, die nicht vor Anzüglichkeiten zurückschreckte, und das heruntergekommene Phantom des Tramp Steamer.
    Der Zufall sollte mir noch zwei weitere Begegnungen mit dem umherziehenden honduranischen Frachter bescheren. Aber schon mit den ersten beiden war seine eingefallene Erscheinung Teil dieser obsessiven Heimsuchungen geworden, hinter denen die Triebfedern des unpräzisen Spiels lauern, dessen Regeln sich jeden Augenblick ändern und für das wir den Namen Schicksal gefunden haben. Ich kann nicht sagen, die nächsten Begegnungen hätten den vorherigen etwas hinzugefügt. Natürlich trugen sie dazu bei, dieses Bild noch beständiger werden zu lassen, das von der geheimen Essenz dessen erfüllt war, was jedes menschliche Schicksal zu seinem ›Abschluss und Ende‹ führt: der Bestimmung zu sterben. Deshalb möchte ich diese beiden Episoden erzählen, die sich von den bereits geschilderten nur durch ihren Schauplatz unterscheiden.
    Jamaika war einer meiner Lieblingsorte in der Karibik gewesen und Kingston lange Zeit Zwischenstation auf dem Luftweg, der mein Land mit den Vereinigten Staaten verbindet. Diesen Halt pflegte ich zu verlängern, normalerweise über ein ganzes Wochenende, um das außerordentliche Klima und die Landschaft zu genießen, die schon Admiral Nelson, als er Gouverneur der Insel war, in Briefen an seine Familie gepriesen hatte. Die ganze Karibik ist für mich stets ein unvergleichliches Gebiet gewesen, wo sich die Dinge in exakt dem Rhythmus und der Aura ereignen, die aufs Angenehmste mit den nie verwirklichten Vorhaben meines Lebens übereinstimmen. Dort beruhigen sich all meine Geister, und meine Gaben schärfen sich so sehr, dass ich mich schließlich als ein ganz anderer fühle als der, der sich in Städten weitab vom Meer herumtreibt oder in Ländern unangenehm konformistischer Achtbarkeit. Einige Karibikinseln haben für mich jedoch das Privileg, diese von Ponce de León gesuchte Art, vom Wasser bespült zu werden, im Höchstmaß zu bieten. Jamaika war einer dieser Orte. Aus Gründen, über die sich aufzuhalten nicht lohnt, besuchte ich es mehrere Jahre lang nicht mehr. Als ich wieder hinging, hatte sich alles verändert. Eine latente Aggressivität, die jederzeit zum Ausbruch kommen konnte, hatte seine Bewohner zu Wesen gemacht, bei denen höchste Vorsicht angebracht war, um keinen Zwischenfall zu provozieren. Diese Spannung ließ sich sogar im Klima feststellen, das sich zwar in seinem Wesen nicht verändert hatte, von den Jamaikanern aber in anderer Art und Laune aufgenommen wurde. Noch ein Paradies, das sich schließt, dachte ich. Viele andere hatten denselben Prozess durchgemacht. Ein weiteres bedeutete für mich kein großes Opfer mehr. So wie von einem gewissen Alter an nur noch zwei oder drei Gedanken

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