Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
ist.
In Recife willigte ich ein, ein Tankschiff nach Belfast zur Reparatur zu bringen, und so kehrte ich zu meinem Leben vor der Begegnung mit Bashur und dem Gaviero in Antwerpen zurück. Doch Warda hatte so sehr von meinem Leben und den geheimsten Fasern meines Körpers Besitz ergriffen, dass ihre Abwesenheit eine Leere in mir zurückließ, die durch nichts mehr zu füllen sein wird. Ich sagte es Ihnen schon zu Beginn: Ich übe die Funktionen fürs Weiterleben wie ein Automat aus, lasse die Dinge geschehen, wie sie kommen, ohne in der Unordnung, die sie oft mit sich bringen, um uns zu täuschen, Trost oder Erleichterung zu suchen. Es ist mir auch bewusst, dass die Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe, recht abgedroschen und einfach klingen mag, wie ich Ihnen schon eingangs zu verstehen gab. Hätten Sie Warda gesehen, und wäre es nur für einen Augenblick gewesen, hätten Sie ihre Stimme gehört, so würden Sie erkennen, dass alles einen ganz anderen Sinn hat. Es war etwas von einer unfassbaren Vision an ihr, was sich mit Worten nicht ausdrücken lässt, und nur wenn man sie kenne, ließe sich das maßlose Glück beschreiben, das es bedeutete, bei ihr zu sein, und die unerhörte Qual, sie zu verlieren.«
Mehr als eine Stunde schwiegen wir, wie es uns schon zur Gewohnheit geworden war. Plötzlich stand Iturri von seinem Stuhl auf und sagte mit einem langen, warmen Händedruck, der Worte ersetzen sollte, die ihn seine Zurückhaltung auszusprechen hinderte: »Ich weiß nicht, ob wir uns morgen noch sehen werden. Ich muss sehr zeitig an Land und auf die Molen, um an Bord des belgischen Frachters zu gehen, der mich nach Aden bringen wird. Es war mir ein großes Vergnügen, Sie kennen gelernt zu haben und zu wissen, dass uns Ihre Sympathie für den armen Tramp Steamer, der Ihnen in Helsinki erschien, für immer verbinden wird. Gute Nacht.« Ich antwortete mit ein paar zusammenhanglosen Sätzen. Die geballte Emotion seines Abschieds, die er sogleich auf mich übertrug, erlaubte mir nicht, ihm zu sagen, was es mir bedeutet hatte, die andere Seite der Geschichte der Alción und ihres Kapitäns zu erfahren. Als ich schlafen ging, wurde es bereits hell. Erst gegen Mittag würde mich der Firmenwagen abholen. Bevor ich in den dringend benötigten Schlaf fiel, konnte ich noch über die Geschichte meditieren, die ich mir angehört hatte. Die Menschen, dachte ich, verändern sich so wenig, bleiben so sehr sie selbst, dass es seit dem Anfang aller Zeiten nur eine einzige Liebesgeschichte gibt, die sich in Unendlichkeit wiederholt, ohne ihre schreckliche Einfachheit, ihr unvermeidliches Unglück zu verlieren. Ich schlief tief und träumte entgegen meiner Gewohnheit gar nichts.
Álvaro Mutis
Der kolumbianische Lyriker und Romancier Álvaro Mutis gehört zu den herausragendsten Schriftstellern Lateinamerikas. Er wurde 1923 in Bogotá geboren, verbrachte jedoch als Sohn eines Diplomaten einen Teil seiner Kindheit in Brüssel, wo er ein Jesuitenkolleg besuchte. Jedes Jahr reiste die Familie nach Kolumbien, um die Ferienwochen auf der Kaffeeplantage des Großvaters zuzubringen. Dazu Mutis: »Alles, was ich geschrieben habe, ist dazu bestimmt, diesen Winkel der tierra caliente zu feiern und zu verewigen. Der Stoff meiner Träume, meine Nostalgien, meine Ängste und meine Schätze entspringen diesem Ort. Es gibt keine Zeile in meinem Werk, die nicht versteckt oder explizit mit dieser grenzenlosen Welt – die für mich diese Ecke der Region Tolima in Kolumbien darstellt – verbunden ist.«
1956 ließ sich Mutis in Mexiko-Stadt nieder und arbeitete in den verschiedensten Berufen, meist in der Öffentlichkeitsarbeit für die Erdölindustrie und später auch für die Filmbranche.
Sein erster Lyrikband war bereits 1948 in Bogotá erschienen: »Carlos Patiñio und ich publizierten einen kleinen Band mit unseren Gedichten mit dem Titel La Balanza (Die Waage). Wir verteilten die Bände eigenhändig an unsere Buchhändlerfreunde am 8. April 1948. Am nächsten Tag war unsere Publikation aufgrund eines Feuers vergriffen. Am 9. kam es zum blutigen Massenaufstand, dem ›Bogotazo‹. Das Stadtzentrum wurde von wütenden Anhängern des Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán in Flammen gesetzt, nach dessen Ermordung in der Hauptstadt.« Weitere Gedichtbände folgten, die meist um Mutis’ erzählerisches Alter Ego kreisen, um Maqroll den Gaviero, diesen philosophischen Abenteurer und belesenen Seefahrer mit Zügen von Don
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