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Die letzte Generation

Die letzte Generation

Titel: Die letzte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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sein, nur menschliche Wesen. Wenn die Schranken endlich gefallen waren, würde die Einsamkeit verschwinden, so wie die Persönlichkeit verging. Die zahllosen Regentropfen hatten sich im Meer vereinigt.
    Er fühlte Jeans Hand in plötzlicher Erregung die seine mit festerem Druck umfassen. „Sieh doch!“ flüsterte sie. „Ich kann Jeff sehen. Neben der zweiten Tür.“
    Es war eine weite Entfernung, und man konnte es nicht genau erkennen. Vor Georges Augen lag ein Nebel, der das Sehen erschwerte. Aber es war Jeff, er war fest davon überzeugt: Jetzt konnte George seinen Sohn erkennen, der einen Fuß schon auf den metallenen Laufsteg gesetzt hatte.
    Jeff drehte sich um und blickte zurück. Sein Gesicht war nur ein weißer Fleck; bei dieser Entfernung konnte man nicht sagen, ob irgendeine Spur von Erkennen darin lag, ein Erinnern an das, was er zurückließ. George würde auch nie erfahren, ob Jeff sich nur zufällig nach ihnen umgedreht hatte, oder ob er in diesen letzten Augenblicken, da er noch ihr Sohn war, wußte, daß sie ihn beobachteten, während er in das Land hinüberging, das sie nie betreten konnten.
    Die großen Türen begannen sich zu schließen. Und in diesem Augenblick hob Fey die Schnauze und stieß ein leises, verzweifeltes Klagen aus. Sie wandte ihre schönen feuchten Augen George zu, und er wußte, daß sie ihren Herrn verloren hatte. George hatte jetzt keinen Rivalen mehr …
    Für die Zurückgebliebenen gab es viele Wege, aber nur eine Bestimmung. Manche sagten: „Die Welt ist noch schön. Eines Tages müssen wir sie verlassen, aber warum sollten wir unsern Aufbruch beschleunigen?“
    Andere aber, die mehr Gewicht auf die Zukunft als auf die Gegenwart gelegt und alles das verloren hatten, was ihnen das Leben lebenswert machte, hatten kein Verlangen, noch länger zu verweilen. Sie schieden aus dem Leben, allein oder mit Freunden, je nach Veranlagung.
     
    So war es mit den Neu-Athenern. Die Insel war in Flammen geboren, in Flammen sollte sie sterben. Alle, die wegzugehen wünschten, taten es, die meisten aber blieben, um zwischen den zerbrochenen Trümmern ihrer Träume das Ende zu erwarten …
    Niemand konnte wissen, wann es Zeit sein würde. Dennoch erwachte Jean in der Stille der Nacht und starrte einen Augenblick zu dem gespenstischen Schimmer an der Decke hinauf. Dann griff sie nach Georges Hand. Er hatte einen gesunden Schlaf. Doch diesmal erwachte er sofort. Sie sprachen nicht, denn die Worte, die nötig gewesen wären, gab es nicht.
    Jean war nicht mehr ängstlich oder auch nur traurig. Sie war jetzt zu den stillen Wassern gekommen und über die Gefühlserregungen hinaus. Aber eines war doch zu tun, und sie wußte, daß kaum Zeit dafür blieb.
    Noch immer wortlos folgte George ihr durch das stille Haus. Sie gingen über den Mondstreifen, der durch das Dach des Studios eingedrungen war, und bewegten sich so leise wie die Schatten, die sie warfen, bis sie in das verlassene Kinderzimmer kamen.
    Nichts war verändert worden. Die selbstleuchtenden Muster, die* George so sorgfältig gemalt hatte, schimmerten noch immer an den Wänden. Und die Klapper, die einstmals Jennifer Anne gehört hatte, lag noch immer da, wo sie sie hingeworfen hatte, als ihr Geist sich der unerforschlichen Ferne zuwandte, in der er jetzt weilte.
    Sie hat ihre Spielsachen zurückgelassen, dachte George, aber die unsern gehen mit uns dahin. Er dachte an die königlichen Kinder der Pharaonen, deren Puppen und Sächelchen vor fünftausend Jahren mit ihnen begraben worden waren. So würde es wieder sein. Kein anderer, sagte er sich, wird jemals unsere Schätze lieben; wir werden sie mit uns nehmen und uns nicht von ihnen trennen.
    Langsam drehte sich Jean zu ihm um und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Er nahm sie in die Arme, und die Liebe, die er früher einmal empfunden hatte, kehrte zu ihm zurück, matt, aber deutlich, wie ein Echo von fernen Berghängen. Es war jetzt zu spät, alles zu sagen, was ihr gebührte, und die Reue, die er empfand, galt weniger dem Bewußtsein, sie getäuscht zu haben, als seiner früheren Gleichgültigkeit.
    Da sagte Jean leise: „Lebwohl, mein Liebling“, und schloß ihre Arme fester um ihn. George hatte keine Zeit zu antworten, denn selbst in diesem letzten Augenblick fühlte er ein kurzes Erstaunen bei dem Gedanken, wie sie wissen konnte, daß der entscheidende Moment gekommen war.
    Tief unten in den Felsen begannen die Uraniumschichten auf der Suche nach der Vereinigung, die sie nie

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