Die letzte Generation
fragte sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die Overlords sich nicht eingemischt, sondern ihn seinem Schicksal überlassen hätten. Der Tod war etwas, dem sie ins Auge sehen konnte, wie sie es schon früher getan hatte: Er gehörte zur natürlichen Ordnung der Dinge. Aber dies war seltsamer als der Tod – und endgültiger. Bis zu diesem Tage waren Menschen gestorben, aber die Rasse hatte weitergelebt.
Die Kinder gaben keinen Laut von sich und bewegten sich nicht. Sie standen in verstreuten Gruppen am Strande und schienen nicht mehr Interesse füreinander zu haben als für das Heim, das sie für immer verließen. Viele trugen Säuglinge, die zu klein waren, um zu gehen, oder die die Kräfte, die das Gehen unnötig machten, nicht zu betätigen wünschten. Denn wenn sie leblose Gegenstände bewegen konnten, dachte George, könnten sie doch auch ihre eigenen Körper bewegen. Warum mußten überhaupt die Schiffe der Overlords sie alle abholen?
Es war bedeutungslos. Sie gingen von dannen, und auf diese Weise sollte es eben geschehen. Und jetzt begriff George plötzlich, was sein Gedächtnis gemartert hatte. Irgendwo hatte er vor langer Zeit einen hundert Jahre alten Zeitungsbericht über so eine Auswanderung gesehen. Es mußte zu Beginn des Ersten oder Zweiten Weltkrieges gewesen sein. Da waren lange Reihen von Eisenbahnzügen gewesen, gedrängt voller Kinder, die langsam aus den bedrohten Städten hinausfuhren und Eltern zurückließen, die so viele von ihnen nie wiedersehen würden. Einige weinten, einige waren verwirrt und klammerten sich krampfhaft an ihre kleinen Habseligkeiten, die meisten aber schienen voller Eifer auf ein großes Abenteuer zu hoffen.
Und doch war der Vergleich falsch. Die Geschichte wiederholte sich nie. Die jetzt von hier aufbrachen, waren keine Kinder mehr, was immer sie auch sein mochten. Und diesmal würde es keine Heimkehr geben.
Das Schiff war am Ufer gelandet und tief in den weichen Sand eingesunken. In völliger Gleichmäßigkeit glitten die großen, gewölbten Seitenflächen nach oben, und die Laufstege streckten sich wie metallene Zungen zum Strand aus. Die verstreuten, unaussprechlich einsamen Gestalten begannen sich zu vereinigen und zu einer Menge zu sammeln, die sich genauso bewegte, wie eine Menschenmenge es tun würde.
Einsam? Warum hatte er das gedacht? fragte sich George. Denn das war das einzige, was sie nie wieder sein konnten. Nur Einzelwesen können einsam sein, nur menschliche Wesen. Wenn die Schranken endlich gefallen waren, würde die Einsamkeit verschwinden, so wie die Persönlichkeit verging. Die zahllosen Regentropfen hatten sich im Meer vereinigt.
Er fühlte Jeans Hand in plötzlicher Erregung die seine mit festerem Druck umfassen. »Sieh doch!« flüsterte sie. »Ich kann Jeff sehen. Neben der zweiten Tür.«
Es war eine weite Entfernung, und man konnte es nicht genau erkennen. Vor Georges Augen lag ein Nebel, der das Sehen erschwerte. Aber es war Jeff, er war fest davon überzeugt: Jetzt konnte George seinen Sohn erkennen, der einen Fuß schon auf den metallenen Laufsteg gesetzt hatte.
Jeff drehte sich um und blickte zurück. Sein Gesicht war nur ein weißer Fleck; bei dieser Entfernung konnte man nicht sagen, ob irgendeine Spur von Erkennen darin lag, ein Erinnern an das, was er zurückließ. George würde auch nie erfahren, ob Jeff sich nur zufällig nach ihnen umgedreht hatte, oder ob er in diesen letzten Augenblicken, da er noch ihr Sohn war, wußte, daß sie ihn beobachteten, während er in das Land hinüberging, das sie nie betreten konnten.
Die großen Türen begannen sich zu schließen. Und in diesem Augenblick hob Fey die Schnauze und stieß ein leises, verzweifeltes Klagen aus. Sie wandte ihre schönen feuchten Augen George zu, und er wußte, daß sie ihren Herrn verloren hatte. George hatte jetzt keinen Rivalen mehr …
Für die Zurückgebliebenen gab es viele Wege, aber nur eine Bestimmung. Manche sagten: »Die Welt ist noch schön. Eines Tages müssen wir sie verlassen, aber warum sollten wir unsern Aufbruch beschleunigen?«
Andere aber, die mehr Gewicht auf die Zukunft als auf die Gegenwart gelegt und alles das verloren hatten, was ihnen das Leben lebenswert machte, hatten kein Verlangen, noch länger zu verweilen. Sie schieden aus dem Leben, allein oder mit Freunden, je nach Veranlagung.
So war es mit den Neu-Athenern. Die Insel war in Flammen geboren, in Flammen sollte sie sterben. Alle, die wegzugehen wünschten, taten
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