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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Bossi.
    Tron nickte. «So
gesehen ja. Es sei denn, es gibt Folgen, die nicht in diesem Ordner
waren, und Contarini hat sie übersehen.» Er seufzte.
«Aber wir haben alle Räume gründlich durchsucht.
Die beiden Zimmer, die Küche, den
Flur.»   
    «Flur? Ich war
nicht im Flur», meinte Bossi. «Haben Sie den Flur durchsucht,
Commissario?»
    Tron schüttelte
den Kopf. «Da hängt nur Flytes Mantel.»
    Anstatt etwas zu
sagen, sprang Bossi auf und lief mit schnellen Schritten aus dem
Zimmer. Dann hörte Tron einen unterdrückten Aufschrei.
Als Bossi zurückkam, hatte er einen braunen Umschlag in der
Hand - einen Umschlag, wie Flyte ihn für die Tagebuchfolgen
benutzt hatte.
    Tron riss ihn auf und
sah, dass er drei sauber beschriebene Bögen in der Handschrift
Flytes enthielt. Auf dem ersten Bogen stand ein Datum. «Eins
mit Stern», sagte er. «Das ist die Folge, die mit dem
15. April beginnt.» Dann dachte er kurz nach. «Wie
sieht es aus?»      
    Bossi sah Tron
irritiert an. «Was?»
    «Das
Wetter», sagte Tron, indem er auf das Fenster deutete.
«Jemand sollte Dr. Lionardo holen. Flyte muss irgendwann ins
Ognissanti.»
    Bossi ging zum Fenster
und öffnete es. Diesmal wehte kein Schnee ins Zimmer.
«Der Sturm scheint nachgelassen zu haben», sagte
er.
    «Gut»,
sagte Tron. «Dann würde ich vorschlagen, dass wir die
paar Seiten noch lesen und Sie anschließend zu Dr. Lionardo
laufen.»

43
    9.
4.
    Nur kurz. Kann kaum
noch den Stift halten. Den ganzen Tag für Dandolo
protokolliert und Befehle ausgefertigt. Nässende Blase
zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Mein stilus
plumbeus, mein Bleistift, ist voller Blut
und sieht aus wie ein kleines Schwert, ja, wir sind am Ziel. Byzanz
ist gefallen und brennt wie eine Räucherpfanne voller
Duftstoffe, je nach Windrichtung weht der Geruch von Muskatnuss,
Zimt, Pfeffer, Safran oder Ingwer auf die Galleante. Habe neben
Dandolo auf der Poop gesessen, ihm mein Auge geliehen und
geschildert, was sich vor uns wie auf einer riesigen Bühne
abgespielt hat - ein Trauerspiel.
    Spätabends
erstes Zusammentreffen mit den deutschen Soldaten, die Pater
Ignazio und mich eskortieren werden, wenn Dandolo den Befehl gibt,
zu Santa Maria Diakonissa aufzubrechen und das Glas zu bergen.
Kamen bei Fackelschein an Bord, gewissermaßen von der Arbeit,
also voller Blut und grotesk behängt mit goldenen Armringen
und Halsketten. Ihr Rottenführer ist ein gewisser Hermann, ein
hünenhafter Troll mit Händen so groß wie
Schweinehälften. Dandolo sagte, sie würden sich für
mich in Stücke hauen lassen - eine unappetitliche Vorstellung.
Hermann sah sofort meinen blutigen stilus plumbeus und sagte auf
Deutsch etwas zu seiner Horde. Die nickte respektvoll.
Womöglich halten sie meinen stilus plumbeus für eine
besonders gefährliche Waffe. Womit sie mehr recht haben, als
sie ahnen.
    15.4.
    Mit Hermann und den
Seinen in der Stadt gewesen. Vom Konstantinsforum zur
Makariossäule gelaufen, über Pflaster, das noch feucht
vom Blut der Erschlagenen war. Scharen wilder Hunde, die an den
Leichen nagen, die auf den Straßen liegen. In der Luft
süßlicher Verwesungsgeruch, der sich mit dem Rauch der
brennenden Häuser mischt. Alle Metallfiguren zwischen dem
Heppodrom und dem Forum verschwunden, darunter viele antike
Bronzen. Die Kreuzfahrer legen den Figuren Seile um den Hals und
reißen sie mit Pferden zu Boden, um sie einzuschmelzen.
Überall in der Stadt sind Schmelzöfen errichtet worden,
speziell in der Nähe von Kirchen. Silberne Kandelaber mit
ihren dicken Aufhängeketten, Hostienteller und Hostienkapseln
aus den Tabernakeln machen sich schlecht als Beutegut - wir sind ja
Christen. Also werden unersetzliche Kunstwerke in Metallklumpen
verwandelt. Vor den Schmelzöfen Prügeleien. Franzosen
fallen über Venezianer her, Deutsche über
Franzosen.
    Dann weiter zur
Santa Sofia. Der riesige Raum war übersät mit den Leichen
von Priestern, dazwischen betrunkene Reiter, gekleidet in
golddurchwirkte Roben. Ein paar Kreuzfahrer waren gerade dabei, die
silberne und mit Gold beschlagene Tür des Presbyteriums
aufzubrechen. Die große Kanzel hatten sie mit Seilen
umwunden, um sie niederzureißen und durch ein Ochsengespann
fortschleppen zu lassen. Andere Kreuzfahrer, Franzosen und
Genueser, brachen die Tabernakel auf, rissen die Kelche heraus und
versuchten, die Edelsteine von den Kelchen abzusprengen. Dann
landeten die Kelche auf einem Haufen mit zum Einschmelzen
bestimmten Gegenständen. Ein

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