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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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sich
weitere Teile dieses Tagebuchs auf San Lazzaro oder in der Wiener
Hofbibliothek befinden. Er hatte entsprechende Anfragen gestellt.
Aber angeblich hat sich weder in Wien noch hier auf San Lazzaro
etwas angefunden.»
    «Angeblich?»
    «Sebastian
vermutet, dass doch Teile der Tagebücher gefunden
worden sind», fuhr Marchmain fort. «Und dass der Inhalt
so brisant ist, dass man sich sowohl in Wien als auch in Rom
brennend für das interessiert, was sich in der Marciana
befindet. Er sagt, es sei ein Fehler gewesen, in Wien und in San
Lazzaro höflich nachzufragen.»
    Marchmain schwieg
kurz. Dann warf er einen Blick auf die zwölfjährige Maria
Magdalena über seinem Kamin und sagte in sachlichem Ton, ohne
Tron dabei anzusehen: «Offenbar hat Dr. Flyte bei Ihnen auf
eine Anfrage verzichtet und ist gleich zur Tat
geschritten.»
    Es dauerte ein paar
Sekunden, bis Tron klarwurde, wie dieser Satz Marchmains zu
verstehen war. «Wollen Sie damit andeuten, Mr. Flyte
hätte Petrelli angeheuert, in den Palazzo Tron einzubrechen,
um dort nach den Tagebüchern Zanetto Trons zu suchen? Und dass
er Petrelli anschließend ermordet hat?»
    Marchmain lachte kurz
auf und drehte den Kopf zur Seite, vermutlich um seinen
Gesichtsausdruck zu verbergen, der sich plötzlich
verändert hatte. Sein Mund war zusammengekniffen, die Augen zu
schmalen Schlitzen verengt. Es war nackter Hass, der aus seiner
Miene sprach. Das alles jedoch dauerte höchstens eine Sekunde.
Dann brachte Marchmain ein nachsichtiges Lächeln zustande, so
als würde es sich bei seinem Neffen um ein verzogenes Kind
handeln.
    «Ich will
überhaupt nichts andeuten», sagte er milde, nachdem er
seine Miene wieder unter Kontrolle hatte. «Höchstens,
dass Sebastian sehr weit gehen würde, um dem Geheimnis des
vierten Kreuzzuges auf die Spur zu kommen. Wenn es denn eines
gibt.»
    Marchmain warf einen
ostentativen Blick auf die Stutzuhr auf seinem Kamin - ein
deutliches Signal, dass er die Unterredung jetzt zu beenden
wünschte. Aber Tron hatte noch eine Frage. «Wer bewohnt
dieses Haus, Mr. Marchmain? Ich meine, außer
Ihnen.»
    «Nur noch mein
Sekretär, Mr. Lime, und meine Nichte, Holly Parker. Dr. Flyte
hat auch ein Zimmer hier, das er aber kaum
benutzt.»
    «Sie haben
Hausangestellte?»
    «Zwei
Zimmermädchen, zwei Kammerdiener, eine Köchin, eine
Küchengehilfin und meinen Gondoliere.»
    «Ihr
Sekretär ist ledig?»
    Marchmain nickte.
«Er bewohnt zwei Räume im Mezzanin des
Hauses.»
    «Und Ihre
Nichte?»
    «Ist ebenfalls
ledig. Sie lebt seit einem Jahr bei mir und hilft im
Haushalt.» Marchmain warf einen weiteren Blick auf die
Stutzuhr. «Wenn Sie jetzt keine weiteren Fragen mehr haben,
Commissario, lasse ich Sie nach unten begleiten.»
    Tron verbeugte sich,
und Marchmain, der neben den Kamin getreten war, betätigte
einen Klingelzug, der von der Decke hing. Nachdem er fast eine
halbe Minute schweigend gewartet hatte, betätigte er den
Klingelzug erneut. Diesmal zog er so kräftig, dass das eiserne
Gestänge scheppernd gegen die Holzverkleidung der Wand schlug.
Nach einer weiteren Minute öffnete sich schließlich die
Tür zum Vestibül, und ein Dienstmädchen erschien auf
der Schwelle.
    Es war die junge Frau,
die sich eine halbe Stunde zuvor aus dem Sofa erhoben hatte. Sie
trat nicht ein, sondern blieb neben der Tür stehen, um weitere
Anweisungen entgegenzunehmen. Mit ihren akkurat hochgesteckten
Haaren und ihrer weißen Servierschürze sah sie noch
jünger aus als vorhin, als Tron und Bossi sie auf dem Sofa
überrascht hatten. Den Blick hielt sie auf den Boden
gesenkt.
    «Wo ist
Giovanni?» Marchmains Stimme klang scharf und ungeduldig.
Offenbar hatte er den Diener erwartet, der Tron und Bossi in den
Salon geführt hatte.
    «Ich weiß
es nicht.»
    Marchmain fuhr
ärgerlich mit der Hand durch die Luft. «Du weißt
nie etwas,
Holly.»          
    «Es tut mir
leid.» Die Antwort des jungen Mädchens kam leise und
unterwürfig.
    «Dann begleite
du die Herren nach unten», befahl Marchmain knapp.
    Holly Parker ging
schweigend voraus und führte Tron und Bossi zur Haustür.
Auf die höflichen Abschiedsworte Trons reagierte sie nur mit
einem kurzen Kopfnicken.

12
    «Was für
ein Ekel», sagte Bossi, als sie vor den Palazzo Zafon
traten.
    Der Ostwind war
stärker geworden und schien Myriaden winziger Eiskristalle mit
sich führen, sodass Tron und Bossi beschlossen, im
Windschatten der Paläste auf dem dünnen Schneeteppich zu
laufen, der die Fassaden säumte. In

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