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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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stand an der Reling und starrte auf zwei
Bogenschützen, die auf einer erbeuteten Truhe saßen und
einen Seidenschal befummelten. «Wenn wir in Ägypten
sind», sagte er plötzlich, «gehe ich zu
den balestrieri.» Rein theoretisch
ist das möglich, die balestrieri suchen immer neue Leute. Aber
als Ruderer muss er sich laut Vertrag nicht an den Kämpfen
beteiligen, was vielen zu gefährlich ist. Natürlich hat
er keine Ahnung worum es inzwischen geht. Sprach dann lange
über seine Familie in Castello, baufälliges Haus, sechs
Leute in einem feuchten Raum. Musste an Papa denken, der guten Zins
aus einem Dutzend Mietshäuser in Castello bezieht. Der Mann
glaubt, dass wir vorher den Kaiser von Byzanz
«abholen», damit der uns «helfen» kann.
Frage mich, ob ich nicht genauso ahnungslos bin. Was weiß ich
denn, was Dandolo und der Papst wirklich planen.
    20.
1.
    Wieder bei Dandolo
Diktate aufgenommen. Offenbar haben wir bereits im Frühjahr
1202 ein geheimes Handelsabkommen mit dem Sultan von Ägypten
abgeschlossen. Für die Garantie, dass Venedig die Kreuzfahrer
vom Angriff auf Ägypten abhalten würde, sind uns
beträchtliche Handelskonzessionen in Alexandria
eingeräumt worden. Alexandria ist das Nadelöhr, das der
Strom von orientalischen Luxusartikeln und Gewürzen nach
Europa passieren muss. Wenn das stimmt, wäre das ein
unglaublicher Skandal. Kann mir kaum vorstellen, dass Papa davon
nichts gewusst hat. Er konnte nur nicht darüber sprechen,
vermutlich Mamas religiöser Gefühle wegen. Und weil mein
sauberes Brüderchen, das nichts für sich behalten kann,
sofort damit hausieren gegangen wäre.
    Abends Auswerfen
der Anker vor Korfu. Die Galleante und ein halbes Dutzend anderer
Galeeren werden morgen in den Hafen einlaufen. Trüber Himmel,
Nieselregen. Entspricht meiner Stimmung denn Lucia wird von Bord
gehen.
    21.1.
(abends)
    Tiefpunkt der
Reise. Zwei Krüge Falerner organisiert, die ich leeren werde,
wenn diese Zeilen geschrieben sind.
    Heute Morgen in den
Hafen eingelaufen, dann kurzer Landgang. Immer noch Nieselregen,
missgestimmt. Hinter dem Hafen ein Labyrinth baufälliger
Häuser. Dort auf Pater Ignazio gestoßen, der gerade mit
einem Mädchen (höchstens zwölf) verhandelte. Hat mir
angeboten, gleich nach ihm weiterzumachen, was ich höflich
ablehnte.
    Den ganzen Tag dann
hässliche Streitereien zwischen Dandolo und einem Teil der
Kreuzfahrer, die plötzlich Bedenken hatten, Byzanz ins Visier
zu nehmen. Mahnten das ursprüngliche Ziel des Kreuzzugs
(Ägypten) an und drohten unverhohlen damit, sich abzusetzen.
Am Ende musste Dandolo theatralisch vor ihnen auf die Knie sinken,
um sie bei der Stange zu halten. Der alte Fuchs schreckt wirklich
vor nichts zurück.
    Schließlich
Abschied von Lucia. Nein, Abschied ist schon zu viel gesagt. Kein
Wort, keine Berührung, nichts. Nur ein flüchtiges
Lächeln, ein Heben der Hand, als sie leichtfüßig
wie ein Elfchen das Fallreep hinabschwebte. Hinter ihr schweren
Trittes (Planken bogen sich) die Tante.
    Meine Lucia! Ach,
werde ich sie jemals Wiedersehen? Tergieße Vränen.
(Keine Kontrolle mehr über die Sprache.) Bereits einen Krug
geleert. Mache jetzt den zweiten nieder. Will morgen versuchen,
Pater Ignazio wegen dieser Zwölfjährigen ... (Rest
unleserlich. Der Hrsg.)

24
    John Leach, der
Sekretär des britischen Generalkonsuls, trat aus dem
Krankenzimmer im zweiten Stock des Ognissanti und atmete tief
durch, wobei er sich vorsichtshalber am Türrahmen festhielt.
Da die Papiere, die man bei dem Toten gefunden hatte, den Briefkopf
des Foreign
Office trugen, hatte man das britische
Konsulat eingeschaltet und ihn verkatert aus dem Bett geholt. Er
löste seine Hand vom Türrahmen und blieb einen Moment
schwankend stehen, um seinen Zylinderhut aufzusetzen. Als er den
Mann in dem schäbigen Gehpelz sah, der ihm auf dem
Krankenhausflur entgegeneilte, dauerte es ein paar Sekunden, bis er
ihn erkannte. Auch das noch.
    «Commissario
Tron?» Leach lächelte verzerrt. «Sie waren mit dem
...» Er musste den Satz abbrechen, weil ihm etwas Galliges in
den Mund schoss.
    Großer Gott,
dachte Tron. Bestimmt bot der Tote keinen besonders angenehmen
Anblick, denn der Sekretär war grün im Gesicht. Die
Tür des Krankenzimmers stand auf, und Tron sah das Bett mit
dem Laken, das man über den Toten gebreitet hatte. Er hatte im
Florian gefrühstückt, als plötzlich ein Dienstmann
vor ihm stand und ihm ein Billett von Dr. Lionardo
überreichte. Der medico legale hatte ihn
gebeten,

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