Sturm auf mein Herz
1
Einen Mann wie Cain Remington hätte Shelley Wilde in all dem eitlen Prunk und Protz dieses Hauses am allerwenigsten erwartet.
Nicht dass die Einrichtung im Stil von Louis XIV., die sich ihre Kundin für ihre neue Villa gewünscht hatte, Shelleys Idee gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Das Einzige, was sie nicht getan hatte, um JoLynn von dem Vorhaben abzubringen, ihre herrlich auf den Klippen von Pacific Palisades, dem Nobelviertel von Los Angeles gelegene Villa mit Reproduktionen französischer Stilmöbel aus dem achtzehnten Jahrhundert voll zu stopfen, war, ihr eine Pistole ans makellos frisierte, aber leere blonde Köpfchen zu halten.
Die umliegende Landschaft war einfach atemberaubend.
Über ihnen wölbte sich ein wolkenlos klarer, tiefblauer Himmel. Im Westen erstreckten sich braune, sonnenverbrannte Hügelketten, die steil zum Pazifik hin abfielen. Hohes, ausgedörrtes Präriegras wuchs auf den Hügeln unter der unbarmherzigen Sonne Südkaliforniens und wogte wie die Wellen des tiefer liegenden Ozeans in den heißen Santa-Ana-Winden.
Der wilde, ursprüngliche Charakter des windigen Küstenlandes wurde nicht mal durch die Luxushäuser der Reichen und Wohlhabenden beeinträchtigt, die wie eine Perlenkette die Hügelkämme zierten.
Nun, zumindest der Architekt hat es verstanden, das Haus in diese einzigartige Landschaft zu integrieren, dachte Shelley.
Es wirkt kühl und klar und fügt sich wundervoll in seine Umgebung ein.
Schade, dass das bei meiner Klientin nicht ebenso der Fall ist.
Die Luft im Haus war gefiltert, klimatisiert und vollkommen geruchlos. Wie in einem guten, aber seelenlosen Hotel.
Draußen brauste der heiße Wind, der den Geruch von Chaparral und die Geheimnisse eines trockenen, wilden Landes mit sich trug. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, die schweren Samtvorhänge aufzureißen und die Glasschiebetüren zurückzuschieben, die auf ein weites Holzdeck mit Blick auf den pazifischen Ozean hinausführten.
Wenn sie gekonnt hätte, wie sie wollte, dann hätte sie die Wildnis gleichsam als lebendiges Kunstwerk aus Braun und Beige und Blau in die Einrichtung integriert.
Aber Shelley konnte leider ganz und gar nicht, wie sie wollte. Ihre Klientin bestand auf einem ganz bestimmten Einrichtungsstil für ihre gemietete Villa. Nichts Ungewöhnliches oder gar Unerwartetes und schon gar nichts, das nicht einem bestimmten, von den Reichen dieser Welt sanktionierten Geschmack entsprach.
Alles musste eine Art Designerlabel besitzen; wenn das nicht der Fall war, dann wusste JoLynn nichts damit anzufangen.
Und trotz der Bemühungen des Menschen, dachte Shelley belustigt, besitzt der Pazifik noch kein Designerlabel an der Naht, wo Land auf Wasser trifft.
Also bevölkerten gestelzte, vergoldete, mit schweren Samtbezügen versehene Louis-XIV.-Möbel anstelle der Ellsworth-Kelly-Ölgemälde und der klaren, kühnen, aber eleganten Möbel, die Shelley gerne dort gesehen hätte, das ultramoderne Glashaus.
Aus dieser Wahl folgte dann auch alles andere. Ein Resultat war, dass nun schwere blaue Samtvorhänge die herrliche Aus-sicht versperrten. Ein anderes der riesige Kristalllüster, der an der hohen, nach oben offenen Balkendecke des Speisezimmers einigermaßen kurios wirkte.
Ein Wunder, dass JoLynn nicht so lange eine Schnute gezogen hat, bis der Vermieter sie die Balken weiß anstreichen ließ.
Oder golden.
Mit einem ärgerlichen Seufzer steckte Shelley ihr Notizbuch weg. Sie brauchte es nicht, um sich offensichtliche oder weniger offensichtliche Persönlichkeitsmerkmale zu notieren, um später dann dem jeweiligen Heim den letzten Schliff geben zu können. Von Individualität war bei JoLynn keine Spur, und falls doch, dann verstand sie es perfekt, diese zu verbergen.
Die Inneneinrichtung des Hauses war zwar durchaus geschmackvoll, aber gleichzeitig vollkommen unoriginell. Alles war wunderschön anzusehen, leider fehlte dem Ganzen jedoch jeglicher Hinweis auf die einzigartige Mischung von Bildung und Erfahrung, Hoffnungen und Ängsten, Träumen und Enttäuschungen, die den Menschen JoLynn Cummings ausmachten.
Unglücklich blickte sich Shelley nochmals um, in der Hoffnung, vielleicht doch etwas übersehen zu haben.
Pustekuchen.
Alles, was ich hinter der zwar schönen, aber verblüffend leeren Fassade meiner Klientin vermuten kann, ist Unsicherheit. Falls noch mehr da sein sollte, lässt sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Alles, was sie von meinem Partner gemietet hat, sieht aus, als
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