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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Mädchen, die sich gewollt naiv gaben.
    Die Voralpen bekommen im Sommer einen mediterranen Anstrich. Lina kam an der Tropical Lounge vorbei, sah weiße Hemden und Tattoos aufblitzen. Im Hintergrund das dunkle Profil der Berge. Salsa- und Merenge-Rhythmen verloren sich auf dem See. Lina blieb, um einen Mojito zu trinken, setzte sich auf einen Holzstuhl. Nebenan befand sich ein Kiosk, der Eis und Getränke verkaufte. Etwas weiter ein Holzpodest für südamerikanische Tänze.
    Lina versuchte, in die Normalität zurückzukehren. An diesem Abend hatte sie alles verspielt. Jetzt blieben ihr nur noch die gewohnten Handlungen: nach Hause gehen, duschen, schlafen und dabei gegen die Schwüle ankämpfen, um am nächsten Morgen weiter nach einer Arbeit zu suchen. Neben der Tanzfläche stand eine Statue. Ein Mann mit einem Finger, der in den Himmel zeigte. Lina fragte sich, wer das war.
    Mit einem Mal gingen ihr die Leute und die Musik auf die Nerven. Und die Handydisplays, die im Schatten aufblitzten wie die Leuchtkäfer auf dem Land. Sie bemerkte, dass ihr die Männer von der Tanzfläche aus neugierige Blicke zuwarfen. Ihr Abendkleid war tatsächlich etwas unpassend.
    Sie lief die Seepromenade hinunter bis zur Piazza della Riforma. Dann schlug sie den Weg ins Zentrum und zum Parkhaus ein, wo sie den Wagen gelassen hatte.
    Die Straßen um die Piazza San Carlo waren nicht sehr belebt. Die massiven Wände der Häuser und Geschäfte ließen ein Leben ohne Unwägbarkeiten vermuten. Ein Bankgebäude, klobig und sicher hinter einer Umfassungsmauer gelegen, löste ein Gefühl der Traurigkeit in ihr aus. Ich jage einem Irrlicht hinterher, einem Gebilde, das meiner Fantasie entsprungen ist. Der wahre Reichtum liegt hier, dachte sie, das wahre Ansehen hinter diesen Mauern. Und dennoch wusste sie, dass es zu spät war, um eine andere Richtung einzuschlagen.
    Es war nicht nur eine Frage des Geldes. In Zeiten der Krise fehlt allen das Geld. Aber Lina hatte es sich von den falschen Leuten geliehen. Während sie sich dem Parkhaus näherte, wurde ihr die eigene Situation immer klarer. Forster und seine Freunde waren Profis, Leute, die sich keine Ausnahme erlauben konnten. Vielleicht würden sie ihr etwas antun: Sie waren zu allem fähig.
    Jemanden um Hilfe bitten? Aber wen? Lina dachte an ihren Vater, verscheuchte den Gedanken jedoch gleich wieder. Er hatte sich vom Leben abgewandt, er war praktisch tot. Und dennoch … auf einmal erkannte Lina ihre eigene Situation. Sie war in Gefahr, und sie war allein. Sie zahlte den Parkschein. Während sie im Dunkeln nach ihrem Wagen suchte, wurde ihr – vermutlich zum ersten Mal – klar, dass es, um da herauszukommen, nicht genügte, wie gewohnt eine forsche Miene aufzusetzen. Diesmal war eine besondere Maßnahme erforderlich. Unverschämtes Glück. Etwas, das die Vergangenheit wegwischen würde, das stärker war als die Worte des Croupiers. Rien ne va plus .

2
Der Gärtner
    Die alte Madame Augustine ließ sich in das Rückenpolster sinken. Sie blinzelte in die Sonne, die sich allmählich dem Horizont zuneigte, strich sich den Rocksaum glatt und lauschte – ohne sich etwas anmerken zu lassen – dem Geräusch der Zikaden. Madame Augustine liebte Zikaden.
    Der Hausdiener brachte ein Tablett und stellte es auf dem schmiedeeisernen Tischchen ab. Die Dame bedankte sich mit einem Kopfnicken und sagte:
    »Danke, Georges, nehmen Sie auch etwas.«
    Georges bedankte sich seinerseits und schenkte zwei Gläschen Pastis ein. Dann nahm er Platz und sah in den Garten. Die Gewitter der vergangenen Woche hatten Wunder bewirkt. Der Hibiskus war endlich aufgeblüht, und neben dem Eingangsweg zeugten zwei Eisenkrautbüsche davon, dass auch der provenzalische Sommer leuchtende Farben hervorbringen kann.
    »Heute ist kein Wind«, stellte Madame Augustine fest.
    »Stimmt«, nickte Georges, »das bedeutet, dass es nicht mehr regnen wird.«
    Gewitter zu Beginn des Sommers waren selten, aber gern gesehen, da sie einen Wasservorrat brachten, der bis Ende August reichte. Die Dame fragte Georges, ob er in diesem Jahr auf die Jagd gehen würde.
    »Hm«, machte Georges und zog eine Grimasse, »ich werd’s versuchen. Letztes Jahr haben sich die Rebhühner nicht blicken lassen. Aber ich habe ein paar Hasen erlegt.«
    »Ah, schön!«
    »Ich habe sie verkauft, aber die nächsten sind für Sie.«
    »Oh, das ist nicht nötig …«
    »Aber sicher doch, ich hab’s auch Jean versprochen … da ist er ja, immer noch bei der

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