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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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öffnete die Tür, sagte kurz: »Ihr habt Besuch«, und verschwand wieder, ehe ich eine Frage stellen konnte.
    Ich ging ins Lokutorium, diesen Raum, der mir immer noch unheimlich war, und stellte erleichtert fest, dass dort niemand auf mich wartete. Ich suchte in den anderen Räumen des Vorderhauses, fand aber nur Gregory und die Priorin, die in ihrem wiederhergestellten Amtszimmer an der Arbeit saß.
    Es war Zeit, nach Arthur zu sehen, also begab ich mich zu den Ställen. Der geheimnisvolle Besuch konnte warten; vielleicht hatte sich Schwester Eleanor sogar geirrt. Wer sollte mich schon besuchen? Ich war ganz allein auf der Welt, bis auf den armen Arthur. Ich schmeckte die Bitterkeit des Selbstmitleids und schluckte sie hinunter. Solche Gefühle durfte ich gar nicht erst aufkommen lassen.
    Aus dem Stall hörte ich vergnügtes Kindergeschrei, in das sich das Lachen einer jungen Frau und die Stimme eines Mannes mischten, aber nicht Johns. Als ich eintrat, stand Arthur mit blitzenden Augen oben auf dem Heuboden und warf Hände voll Stroh nach Geoffrey, der sich einen alten Hirtenhut übergestülpt hatte und den Jungen mit komischen Grimassen zum Lachen brachte. Auf einer großen Kiste saß Schwester Beatrice und schaute den beiden mit strahlendem Gesicht zu.
    Als Geoffrey mich bemerkte, unterbrach er das Spiel. »Schwester Joanna, ich muss mit Euch sprechen«, sagte er respektvoll, beinahe förmlich. »Es ist wichtig.«
    Wieder stieg Bitterkeit in mir hoch. Sollte ich niemals unbekümmert lachen und sorglos spielen dürfen? Warum musste Geoffrey mir gegenüber diese förmliche Haltung einnehmen? Schwester Beatrice rief Arthur, der ihr die Stiege hinunter entgegensprang, und führte den Jungen hinaus. Geoffrey warf sie ein letztes Lächeln zu und mir einen merkwürdigen Blick.
    »Ich wollte Euch von Schwester Christina berichten«, sagte Geoffrey.
    »Sie ist tot.«
    Er schien ein wenig überrascht, wie schnell ich es abtat. »Ja, sie ist tot.«
    »Ihr wart natürlich als Beobachter dort«, sagte ich.
    Den Kopf leicht zur Seite geneigt, sah er mich prüfend an. »Warum macht Euch das zornig?«
    »Tut es gar nicht«, fuhr ich ihn an. Und dann wurde ich doch zornig, weil ich wusste, dass ich ungerecht war. Aber ich konnte nicht dagegen an. »Das ist doch Euer Amt, Geoffrey   – Frauen bei ihrer Hinrichtung zu beobachten.«
    Er starrte mich perplex an.
    »Es tut mir leid«, sagte ich und setzte mich auf die Kiste, auf der eben noch Schwester Beatrice gesessen hat. »Es ist nur so bitter, immer nur schreckliche Dinge zu hören und zu sehen und dann auch noch zu wissen, dass es bald noch schlimmer kommen wird. Der Ort, der mir der liebste auf der Welt ist, wird zerstört werden. Ich werde nicht mehr mit den anderen Schwestern zusammen Gott dienen   – ich werde sie vielleicht nie wiedersehen. Es gibt nichts, worauf man sich freuen kann   – nur Abschiede und Verluste.«
    »Ihr habt Arthur.«
    Ich nickte. »Ja«, sagte ich müde. »Ich habe Arthur.«
    »Wohin werdet Ihr gehen?«
    Ich erzählte ihm, dass mein Cousin Henry auf meine Anfrage geantwortet hatte, Arthur und ich könnten mit seiner Familie zusammen auf Stafford Castle leben. Sehr enthusiastisch war das Schreiben nicht gewesen, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Die Staffords neigten nicht zum Überschwang, aber sie waren da, wenn man sie brauchte. Wir würden für den Rest unseres Lebens ein Dach über dem Kopf haben.
    Ich holte tief Atem. »Jetzt berichtet mir von Schwester Christina.«
    »Sie wurde in Tyburn gehängt. Niemand war da, um ihr Beistand zu leisten. Ein Hofbeamter sprach ein paar Worte, dann wurde sie zum Galgen hinaufgeführt. Man sagte mir, dass sie seit Wochen nur noch Unverständliches gesprochen hatte. Kurz bevor sie gehängt wurde, sprach sie noch ein lateinisches Gebet.«
    »Das wird das dominikanische Heilsgebet gewesen sein«, sagte ich leise.
    »Am Ende des Gebets blickte sie zu den Zuschauern hinüber. Es war eine große Menschenmenge da, ihre Taten waren ja tagelang in aller Munde gewesen. Sie erkannte mich und rief mich an.«
    »Was hat sie gerufen?«
    »Dass ich Euch etwas sagen soll.«
    Ich wartete voll furchtsamer Spannung. »Was?«
    »Sie rief: ›Sagt Schwester Joanna, es ist das Feuer auf dem Hügel.‹«
    Ich schwieg lange, dann musste ich weinen.
    »Wisst Ihr, was das bedeutet?«, fragte er.
    Ich nickte. »Wisst Ihr, in gewisser Weise haben wir einander verstanden; deshalb haben ihre Taten mich so entsetzlich

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