Die letzte Reifung
Bauch auf dem Boden?«
»Ja, es ist schrecklich. Nicht wahr, Benoit? Das siehst du als Mann vom Fach doch genauso.«
Der Polizist blickte von seinem Notizblock auf. Sein Mund formte sich zu einem »Nein«, doch er schwieg und nickte.
»Und zu einem solch unglücklichen Zeitpunkt!«, fuhr Jules Bigot fort. »Kommendes Wochenende ist unser großes Käsefest. Ganz Burgund, ach, was rede ich, ganz Frankreich blickt auf Epoigey. Wie sähe es aus, wenn kurz zuvor die einzige Käserin unseres Dorfes ermordet worden wäre? Die Einzige, die das Rezept für unseren berühmten Käse kennt, die Letzte einer großen Tradition? Ganz schlecht sähe das aus, Herr Professor. Das wäre gar nicht gut für die Stimmung.«
»Ach«, erwiderte Bietigheim. »Eine Frau ist ermordet worden, aber die Stimmung vor Ort ist wichtiger, als den Mörder zu suchen. So habe ich das noch gar nicht gesehen.«
» So müssen Sie es aber sehen! So und nicht anders.« Bigot sah Bietigheim ernst an, dann setzte er erneut sein routiniertes Politikerlächeln auf. »Sie haben übrigens einen niedlichen kleinen Hund. Beißt der?«
»Nein, nie.«
Der Bürgermeister streckte die Hand aus, und Benno schnappte zu.
»Aber Sie sagten doch …!«
»Er beißt ja auch nicht, er schnappt nur. So müssen Sie das sehen. Und jetzt melken Sie weiter – ist ja schließlich Ihr Dorf.«
Bietigheim schnallte den Schemel ab und griff sich Benno. Als er an Jules Bigot vorbei zur Haustür wollte, hielt dieser ihn fest.
»Eine unwichtige Kleinigkeit noch, Herr Professor. Bis das Käsefest beendet ist, halten Sie sich in der Nähe auf. Ansonsten könnten wir den Eindruck gewinnen, Sie hätten etwas zu verbergen. Und dann müssten wir doch in Richtung Mord ermitteln. Das wollen wir doch nicht, oder?« Er klopfte Bietigheim etwas zu fest auf die Schulter. »Sprechen Sie mit niemandem über Madame Poincarés Tod! Wir verstehen uns, das sehe ich. Wenn das Fest vorbei ist, kann die Polizei gerne ihre Investigation starten, ich werde zu diesem Zweck sogar Fotos von der Toten anfertigen lassen. So hat dann auch alles seine Richtigkeit. Benoit nimmt gleich Ihre Personalien auf und Sie teilen uns bis heute Abend Ihren Aufenthaltsort mit – ansonsten werde ich die nötigen Schritte einleiten.«
»Und was ist mit dem Käse? Wenn sich keiner um ihn kümmert, verkommt er.«
»Guter Einwand!«, befand der Bürgermeister. »Sehr guter sogar. Benoit, du nimmst das in die Hand. Ist ja schließlich deine Familie. Ich regele die Formalitäten mit der Polizeidirektion in Dijon. Denen werde ich klarmachen, dass wir in Epoigey alles wunderbar alleine regeln können. Die Leiche wird Eric abholen, ich habe ihm bereits Bescheid gegeben.«
»Aber ich habe doch keine Ahnung von Käse!«, beschwerte sich Benoit.
»Papperlapapp. Wenn du nicht weiterweißt, frag einfach unseren Professor hier. Der ist schließlich Käsefachmann, hat ja sogar studiert.«
»In Oxford«, ergänzte der junge Polizist und zog Bietigheim hinter sich her in die Käserei.
Wie sich herausstellte, war der junge Benoit der einzige Verwandte von Madame Poincaré, der noch vor Ort lebte. Und er wusste wirklich erschreckend wenig über die Käseherstellung. Bietigheim zeigte ihm die mit Marc de Champagne versetzte Salzlake, mit der die Käse regelmäßig einzureiben waren, und erklärte ihm, woran er erkennen konnte, ob die Laibe reif für den Verkauf waren. Doch wie der Vacherin d'Epoigey herzustellen war, das wusste der Professor auch nicht. Diese Käse hier würden für alle Zeiten die letzten mit dem herrlich nussigen Geschmack sein, der sich im Mund so unvergleichlich cremig entfaltete.
Am Ende des kleinen Einführungskurses gestand Benoit kleinlaut, dass er Käse nicht leiden konnte, ganz besonders den seiner Großtante nicht. In der Jugend sei er wegen des Vacherin d'Epoigey für alle nur der Käsejunge gewesen. Der Stinker, der Miefer. Für Bietigheim erklärte dies, warum der junge Polizist heute stärker nach Rosen duftete als ein Fass Gewürztraminer.
Als er aus der Käserei herauskam, holte Bietigheim erst einmal tief Luft. Sie war heiß und trocken. Mit einem letzten Blick auf die kuhlose Weide schloss er sein Fahrrad auf. Und nachdem er Benno von Saber befohlen hatte, in den Korb zu springen, lief dieser auch brav neben ihm her. Eigentlich hatte der Professor heute noch ein gutes Stück fahren wollen, Richtung Tournus, doch nun hieß es erst einmal vor Ort bleiben.
Nicht nur weil dieser merkwürdige
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