Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
jedes Wort. »Er war immer so fleißig darum bemüht, die Aufzeichnungen fortzuführen. Orsith liebt … das heißt, er hat die Geschichte so geliebt.«
Im trüben Kerzenlicht des Studierzimmers erschien Landus plötzlich dünn und hinfällig, wie um Jahre gealtert. Aber es war offensichtlich, dass er Orsith geliebt und verehrt hatte. Aryn zögerte, dann trat sie zu dem jungen Mann hin und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Es tut mir so Leid, Landus«, sagte sie.
Er schaute sie überrascht an, dann nickte er, und ein dankbares Lächeln lag kurz auf seinen Lippen. »Am Ende schließt sich der Kreis für uns alle, und Orsith hat eine lange, fruchtbare Drehung gelebt. Obwohl wir alle es nicht wahrhaben wollten, hat seine Gesundheit im letzten Jahr stark nachgelassen. Es ist ein Schrecken, aber eigentlich keine Überraschung.«
Falken trat an den Tisch. »Habt Ihr ihn hier gefunden?«
Landus nickte. »Mehrere von uns haben Orsith aufschreien gehört. Ich hielt mich gerade im Korridor auf, darum traf ich als Erster ein. Als ich ihn erreichte, war er bereits von uns gegangen, am Tisch zusammengebrochen. Ich fürchte, sein Herz hörte auf zu schlagen. Aber sein Aufschrei dauerte nicht lange; ich glaube nicht, dass er groß gelitten hat.«
Melia verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hätte früher nach Tarras kommen sollen. Ich hätte mehr Zeit mit ihm verbringen können, bevor er in den nächsten Kreis übergeht. Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass sein Herz so schwach ist.«
»Das Wissen hätte Euch nichts genutzt, Mylady.«
Alle wandten sich Durge zu. Der Ritter hatte in der Ecke gekniet und stand jetzt auf.
Melia starrte ihn an. »Wovon sprecht Ihr?«
»Es war nicht sein Herz, das ihn getötet hat«, sagte der Ritter.
Falken warf ihm einen finsteren Blick zu. »Durge, das ist jetzt nicht die Zeit für Scherze.«
Der Embarraner hob die Brauen, und Falken zuckte zusammen, da er offensichtlich die Dummheit seiner Worte erkannte.
»Ihr habt etwas gefunden, Durge, nicht wahr?«, sagte Aryn. »Was ist es?«
Der Ritter streckte die schwielige Hand aus. Auf seiner Handfläche funkelte eine aus Gold gefertigte Spinne im Kerzenlicht.
48
Falken saß am Tisch und studierte das befleckte Blatt Pergament. Melia stand stumm hinter ihm; sie hatte den angebotenen Sitzplatz abgelehnt. Sie stand so steif da wie die Statue von Mandu im Tempelsaal. Doch im Augenblick war in ihren Augen nichts von Mandus Heiterkeit zu sehen. Stattdessen blickten sie hart.
»Seid Ihr sicher, dass Sif es war, der Orsith getötet hat?«, fragte Landus. Der Akoluth zitterte sichtlich unter seiner Robe.
»Es war Durge, der das Rätsel gelöst hat«, sagte Lirith. »Alle Hinweise deuten auf Sif.« Sie zeigte auf die Goldspinne auf dem Tisch. »Und das dürfte jeden möglichen Zweifel beseitigen.«
»Ich schätze, es war eine Art von Gift«, sagte Durge. »Ihr habt gesagt, dass Ihr an Orsiths Körper keine Wunden gesehen habt, Landus. Nur Gift würde das erklären.«
Landus schüttelte den Kopf, als wäre ihm schwindelig. »Vermutlich ja. Aber warum sollte Sif Orsith umbringen wollen?«
Falken schaute auf. »Ich glaube, aus dem gleichen Grund, aus dem er die anderen Priester getötet und versucht hat, Lirith umzubringen. Und nicht nur, um in der Etherion Chaos zu stiften. Sif fürchtet, jemand könnte der Wahrheit auf die Schliche kommen.« Der Barde zeigte auf das tintenverschmierte Pergament auf dem Tisch, und sie alle traten näher heran. »Ich glaube nicht, dass Orsith hier mit einer Tempelaufzeichnung beschäftigt war, Landus. Ich glaube, das war sein Tagebuch.«
Landus nickte. »Das kann schon sein. Orsith hat seine eigenen Aufzeichnungen geführt.«
Falken hob das Pergamentblatt. »Es ist so schwer zu lesen. Das meiste ist verdeckt worden, als die Tinte darüber vergossen wurde. Aber ein paar Fragmente sind zu erkennen. Hier spricht er von der Dunkelheit in der Tiefe. Etwas tiefer steht das Wort Tod. Und hier, ganz unten …«, Falken zeigte auf die letzten verschmierten Reihen, »… dass die Spinnen zurückgekehrt sind.«
Melia trat vor, ihre Augen schienen Flammen zu sprühen. »Ich glaube, es ist Zeit, Sif einen Besuch abzustatten.«
Minuten später standen sie vor den Stufen zu Sifs Heiligtum. Der Tempel des Spinnengottes war nicht weit von dem Mandus’ entfernt, und Landus hatte sie persönlich hingeführt. Keiner von ihnen wäre auf die Idee gekommen, den jungen Akoluthen nicht mitkommen zu lassen; sein
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