Die letzte Rune 07 - Die schwarzen Ritter
verstehe nicht, Shemal. Wollt Ihr etwa sagen, dass es noch jemanden gibt, der Runen brechen kann?«
Shemals Stimme war triumphierend. »Ja, ein zweiter Runenbrecher! Und er hat sich mir verschworen.«
»Aber die Prophezeiung der Hexen …«
»Die Prophezeiung besagt lediglich, dass der Runenbrecher die Welt zerschmettern wird. Sie sagt nicht, welcher Runenbrecher. Und jetzt ist der andere unter unserer Kontrolle, ein Werkzeug, das wir für unsere Zwecke benutzen können.«
Liendra wollte etwas erwidern, aber Shemal schüttelte den Kopf.
»Das reicht, meine Liebe. Ich werde Euch später mehr verraten, wenn Ihr es wissen müsst. Im Moment müsst Ihr Ivalaine im Auge behalten, und wenn sie etwas von Euren beiden Schwestern im Süden hört, lasst es mich sofort wissen.«
Die Sonne war untergegangen, der Hügel wurde in Zwielicht getaucht. Trotz des mangelnden Lichts konnte Gauris den Hass erkennen, der in den Augen der blonden Frau leuchtete. Liendra zog den Umhang enger um den Körper und verschwand zwischen zwei Felsblöcken in den Abend.
Shemal drückte den Raben an die Brust. »Bald, mein kleiner Bote. Die Zeichen sind da. Der Krieg kommt. Aber möglicherweise wird nicht alles so kommen, wie es dein Herr glaubt.«
Gauris kämpfte gegen ihren Griff an. Hier stimmte etwas nicht. Er musste in den Norden zurückkehren, es seinem Herrn sagen.
Die Frau hielt ihn fest. »Nein, kleiner Bruder. Ich kann nicht zulassen, dass du deinem Herrn erzählst, was ich gesagt habe. Das wäre nicht gut. Das wäre gar nicht gut. Und du bist erschöpft; dir fehlt die Kraft zum Fliegen.« Ihre kalten Finger legten sich um seinen Hals. »Es ist Zeit, dass du dich ausruhst.«
Noch einmal wehrte er sich gegen sie, aber es war sinnlos. Sie hatte Recht. Er war müde, so schrecklich müde.
Die Finger um seinen Hals griffen fester zu. Ein krachender Laut hallte von dem Steinkreis zurück. Einen Augenblick lang flog Gauris in einen Himmel aus Dunkelheit, der sich in alle Ewigkeit erstreckte.
Dann hörte er auf zu existieren.
2
Grace Beckett hatte eigentlich nie an das Schicksal geglaubt.
Schließlich war es nicht das Schicksal, das die Menschen durch die Tür der Notaufnahme des Denver Memorial Hospitals brachte. Es war bloß ganz gewöhnliches Pech. Sie überquerten zufällig die Straße in dem Augenblick, in dem ein herankommender Autofahrer – der in seinem Leben nie einen Tag krank gewesen war – eine Hirnblutung erlitt. Oder sie bemerkten nicht, dass die Drähte der Schnur, die sie in die Steckdose steckten, am Ende frei lagen. Oder sie erhielten einen Anruf, als sie die Einkäufe auspackten, und vergaßen, die Packung mit dem Rattengift, das sie gekauft hatten, oben aufs Regal zu stellen, wo ihr Kleinkind nicht daran herankam. Und in einem Augenblick änderte sich ihr Leben unwiderruflich, einfach so, ohne besonderen Grund.
Nichts war vorherbestimmt; die Dinge passierten einfach. Und wenn sich manchmal Prophezeiungen erfüllten, dann kam das nur daher, dass die Dinge ohnehin so geendet hätten. Das Drama König Ödipus bestätigte keineswegs die Existenz des Schicksals; es war eine Mahnung, nicht auf Warnungen zu hören. Ödipus hätte seinen Vater niemals getötet, hätten die Unheil verkündenden Worte des Sehers nicht die ganze Sache erst ins Rollen gebracht. Das einzige Schicksal, das es gab, war das, das der Mensch für sich selbst schuf.
Zumindest hatte Grace das damals in Colorado geglaubt. Aber jetzt kannte sie eine andere Welt. Eine Welt, in der die Götter leibhaftig vor einen hintraten. Eine Welt, in der Magie eine Macht so real wie Elektrizität war. Eine Welt, in der Prophezeiungen vielleicht, nur vielleicht, wirklich Wahrheit wurden.
Es war nun über einen Monat her, dass der von Xemeth befreite Dämon vernichtet und durch die Berührung des Großen Steins Sinfathisar in ein totes Stück Felsen transformiert worden war. Es war über einen Monat her, dass sie aus der zusammenstürzenden Kuppel der Etherion geflohen waren, nur um entdecken zu müssen, dass ihre Gruppe nicht vollzählig war. Und es war über einen Monat her, seit sie mit der aussichtslosen Suche nach jenen begonnen hatten, die verschollen waren.
Die Villa, in der sie wohnten, stand auf einem Hügel, der eine halbe Meile von der äußersten Stadtmauer von Tarras entfernt war. Das Haus mit dem Ziegeldach war wie ein Hufeisen geformt und umgab einen mit Brunnen und duftenden Lindara -Schlingpflanzen ausgestatteten Hof, und das ganze Haus wurde
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