Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
wärmer wurde. Sie sahen keine Eisberge mehr, und über den dichten Wäldern an der Küste flatterten Vögel. Trotzdem spürte sie, dass der Winter seinen Zauber über das Land geworfen hatte. Einmal segelte das Schiff nahe an der Küste, und sie konnte sehen, dass der Wald grün war, denn seine Bäume setzten sich aus Nadelhölzern zusammen. Oft waren sie auch weiß, mit Schnee bestäubt. Aber ganz egal, wie sehr sich das Schiff auch dem Land näherte, es kamen weder Bauernhöfe noch Festungen in Sicht. Das war ein wildes Land.
Unterwegs sprach Grace noch zweimal mit Aryn über das Netz der Weltenkraft und staunte über die Weise, wie die junge Baronesse sie über diese Entfernung erreichen konnte. Grace hörte fasziniert zu, als Aryn alles erzählte, was sie seit ihrer Trennung erlebt hatte – und was sie alles gelernt hatte. Grace war klar, dass sie Falken über die Neuigkeiten informieren musste, die Aryn aus Ivalaines Brief erhalten hatte. Aber es war besser, damit noch zu warten. Nach sieben Jahrhunderten der Sorge verdiente der Barde etwas Frieden.
Im Laufe der Zeit sprachen die Reisenden immer weniger miteinander. Es lag weder an Müdigkeit noch an der Belastung; es schien einfach keine Notwendigkeit für eine Unterhaltung zu geben, so als würde die Stille ihre Gefühle mit größerer Klarheit übermitteln, als es Worte je gekonnt hätten. Manchmal setzte sich Grace zu Falken und nahm seine warme und glatte Silberhand, während sie die Wälder vorbeigleiten sahen. Oder sie machte mit Vani einen schweigenden Spaziergang an Deck oder ruhte mit an Beltans Brust geschmiegtem Kopf an Deck. Sie schliefen nicht mehr richtig; sie verspürten keine Müdigkeit, aber manchmal war es einfach gut, sich hinzulegen und zu ruhen.
Grace sah Vani und Beltan oft zusammen. Anscheinend hatten sie ihre Feindschaft in Toringarth zurückgelassen. Jetzt beobachtete Grace, wie sich zwischen ihnen etwas anderes ergab. Es war nicht von romantischer Natur. Das war unmöglich; sie beide liebten Travis Wilder von ganzem Herzen. Aber es bestand Sympathie zwischen ihnen, sogar eine gewisse Zärtlichkeit. Was hatte diese Veränderung bewirkt? Hatte die seltsame Atmosphäre des Schiffes etwas damit zu tun? Es blieb Grace ein Rätsel, trotzdem war sie froh darüber.
Genau wie Sprechen und Schlafen war auch Essen unnötig. Sie tranken die kühle Flüssigkeit, die das Kleine Volk gelegentlich auf dem Tisch servierte, und das reichte mehr als aus, um sie bei Kräften zu halten. Doch so seltsam das alles auch war, es gab noch einen anderen Grund, warum Grace alles wie ein Traum vorkam. Dieser Grund lag kühl und schimmernd auf dem Tisch in der Mitte des Decks und war immer begierig auf ihre Berührung. Fellring.
Das muss ein Traum sein. Es kann nichts anderes sein. Du kannst keine Königin sein, und das kann nicht dein Schwert sein.
Aber sie war es, und es gehörte ihr.
Manchmal wagte sie es, das Schwert in die Hand zu nehmen, und es schien in ihrem Griff zu summen. Irgendwann war daran ein polierter Holzgriff erschienen – ein weiteres Geschenk des Kleinen Volkes. Das Holz war blass und hart, dabei aber sehr leicht; Falken zufolge handelte es sich um Valsindar. Der Griff schmiegte sich perfekt in ihre Hand, und die Klinge war so geschickt ausbalanciert, dass sie sich von allein zu schwingen schien.
Jedes Mal, wenn sie das Schwert ergriff, drängten sie Fragen. Was bedeuteten die eingravierten Runen? War sie wirklich stark genug, es zu schwingen? Und wie und warum hatte sich Sindar geopfert, um es zu reparieren?
»Er wusste es, Grace«, sagte Beltan an einem Abend, als die Sterne am purpurnen Himmel erschienen. Er hatte sie wieder im Schwertkampf unterrichtet, und sie wurde besser darin.
Sie senkte die Klinge und sah ihn an. »Wer wusste was?«
»Sindar. Er wusste, dass Liebe manchmal bedeutet, alles aufzugeben, was man ist.«
Graces Knöchel verfärbten sich weiß, als sie den Griff umklammerte. Nein, es war zu viel. »Ist dieses Schwert wirklich ein Leben wert gewesen, Beltan?«
»Stoße es ins Herz des Fahlen Königs, Grace. Hindere seine Heere daran, in die Domänen einzufallen. Hindere ihn daran, die Großen Steine zu finden und Mohg zu übergeben. Dann stell dir diese Frage noch einmal.«
Beltan wandte sich ab und ging, und erst als sie seinen breiten Rücken im Zwielicht verschwinden sah, fragte sie sich, ob seine Worte wirklich für sie bestimmt gewesen waren. Was, wenn er sie auf sich gemünzt hatte?
… dass Liebe
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