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Die letzte Schöpfung

Die letzte Schöpfung

Titel: Die letzte Schöpfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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Achseln. »Eigentlich nicht, aber wenn Anna mich angerufen hat, warum hat sie dann keine Nachricht hinterlassen?« In Wahrheit konnte Sydney nicht einmal beschwören, dass Anna nicht doch eine Nachricht hinterlassen hatte, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, warum Charles sie in so einer Sache belügen sollte.
    »Das wäre viel zu gefährlich gewesen. Anna hätte sich niemals so angreifbar gemacht.« Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann fragte er: »Haben deine Eltern immer noch das Blockhaus am Lake Texoma?«
    Die Frage kam überraschend, und Sydney brauchte einen Moment, um zu begreifen, worauf er hinauswollte. »Ja, warum? Willst du dorthin?«
    »Nicht direkt.« Er blickte in den Innenspiegel, wie mindestens schon ein Dutzend Mal während der Fahrt. »Viel zu gefährlich. Dort werden Ramirez und Konsorten bestimmt zuerst suchen.«
    »Woher sollten sie wissen, dass es die Hütte gibt?«
    Ethan sah sie mit erhobenen Brauen an.
    »Schon gut.« Es war eine dumme Frage; sie lebten schließlich im Informationszeitalter. Selbst ein Kind mit einem Computer und Talent zum Spionieren konnte sich in die Steuerlisten des Staates oder des Bezirks einklinken und sämtlichen Grundbesitz von Sydneys Familie ermitteln.
    »Ich dachte eher an Laurel Lodge«, meinte Ethan.
    Diese Bemerkung kam für Sydney so überraschend wie alles andere, was er gesagt oder getan hatte, seit er in ihre Wohnung gestürmt war. »Meinst du das ernst?«
    »Das Haus liegt abseits und macht erst in ungefähr einem Monat auf.« Er bewegte die Finger der rechten Hand, ballte sie zur Faust, öffnete sie wieder. »Es sei denn…«
    Der Rest verlor sich in Gemurmel, als er seine Aufmerksamkeit dem verletzten Arm widmete, ihn beugte und streckte, um ihn wieder beweglich zu machen, auch wenn es höllisch wehtat. Sydney suchte auf dem provisorischen Verband nach frischen Blutflecken, konnte aber keine entdecken. Noch nicht. Doch wenn Ethan so weitermachte, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Binde wieder durchgeblutet war.
    »Sydney?«
    Sie sah ihn an. Angst und ein anderes, noch stärkeres Gefühl raubten ihr den Atem. Auch mit einem Streifschuss am Arm und trotz ihrer bislang erfolgreichen Flucht blieb Ethan wachsam und entschlossen, sie alle zu beschützen, wie hoch der Preis auch sein mochte. In mancher Hinsicht hatte er sich kein bisschen verändert.
    »Hat sich irgendwas geändert?«, fragte er unvermittelt.
    Wieder hatte er Sydney überrascht; es war, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Bitte?«
    »In Laurel Lodge, meine ich. Haben die jetzt andere Öffnungszeiten?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie zwang sich, den Mann zu vergessen, und dachte über seine Frage nach.
    Laurel Lodge war ein kleines, exklusives Hotel, das auf den Klippen hoch über dem Lake Texoma thronte. Seit dreißig Jahren öffnete es am Memorial Day im Mai und schloss seine Pforten am Tag nach dem Labor-Day-Wochenende Anfang September. Es war ein Erholungsort für die Reichen von Dallas, die der Hitze in der Stadt entfliehen wollten. Der Inhaber war ein Freund und Patient von Sydneys Vater gewesen, und einmal waren sie und Ethan…
    »Ich bin nicht mehr am See gewesen, seit…« Seit Nicky tot ist. »Seit langem nicht mehr.« Und auf keinen Fall wollte sie jetzt mit Ethan dorthin. Nie mehr.
    »Könnte jemand dort nach uns suchen?«
    »Glaub ich nicht.« Laurel Lodge war ihr Geheimnis gewesen, das sie selbst inmitten der Trümmer ihrer Ehe gehütet hatte. Sydney wurde wütend, weil sie dies vor sich selbst zugeben musste und Ethan damit bewies, wie viel die Erinnerung ihr bedeutete. »Trotzdem könnte jemand dort sein – eine Putzkolonne vielleicht, oder Handwerker.«
    Ethan dachte kurz nach, dann schüttelte er den Kopf. »Wir müssen es riskieren.«
    Alles in ihr sträubte sich gegen den Vorschlag, doch sie widersprach ihm nicht. Es hätte ohnehin nichts genützt. Wenn Ethan sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, blieb es dabei. Außerdem hätte ihr Widerspruch nur umso deutlicher gezeigt, wie sehr es ihr gegen den Strich ging, die Lodge mit ihm zusammen aufzusuchen.
    Schweigen breitete sich im Wagen aus, nur unterbrochen vom rhythmischen Aufschlag der Hartgummireifen auf den Asphalt und dem unwilligen Brummen des altersschwachen Motors. Kilometer um Kilometer zog frühlingsgrünes Grasland an ihnen vorbei, über dem sich das endlose Blau des texanischen Himmels wölbte. Durch das Schweigen wurde Sydney sich umso mehr der unmittelbaren Umgebung bewusst: der Geruch

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