Die letzte Schöpfung
Callie hatte ein paar Blumen im Wald hinter dem Haus gepflückt. Da hätte Ethan beinahe gelächelt. Callie hatte immer diese Wirkung auf andere Menschen. Selbst Anna war wegen Callie ein bisschen zugänglicher geworden. Aber Callies Charme nützte ihr gar nichts: Sie wurde immer noch ständig krank.
Was Sydney anging, wusste Danny nicht genau, was er von ihr halten sollte. Sie war fast schon zu nett. Einige der Wärter waren auch so gewesen und hatten sich am Ende als Lügner erwiesen. Danny hatte gelernt, keinem von ihnen zu trauen. Bei Ethan wusste man wenigstens, woran man war; Danny wusste, dass er ihn und Callie der Polizei übergeben würde, wenn er erst mal diesen Entschluss gefasst hatte. Ethan würde nicht lange drumherum reden. Bei Sydney war Danny sich nicht so sicher.
Sie brauchte lange.
Er hätte sich im Kofferraum des Explorer verstecken sollen oder so. Das wäre am sichersten gewesen. Stattdessen steckte er hier fest und musste auf sie warten.
Als er das Motorengeräusch hörte, ruckte sein Kopf hoch. Der schwarze Explorer bog soeben in die Lichtung ein. Danny sprang von der Veranda, wartete aber noch, bis Sydney den Motor abgestellt hatte und langsam ausstieg. Hinter sich hörte er die Tür der Blockhütte zuschlagen, drehte sich um und sah Callie auf der Veranda stehen. Er lächelte ihr zu. Dann ging er zu Sydney. Doch als er ihren Gesichtsausdruck sah, blieb er stehen.
»Haben Sie meinen Vater gesehen?«, fragte er und hatte plötzlich Angst vor der Antwort.
Sie legte die Stirn in Falten. »Danny.«
»Also ja?« Er machte noch einen Schritt auf sie zu. »Haben Sie mit ihm geredet?«
Sydney verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe mit Timothy Mulligan gesprochen.«
Ja! Das war ihm klar! »Haben Sie ihm gesagt, dass wir hier sind? Wann können wir…«
»Danny…« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm nichts von dir erzählt.«
»Warum nicht?«
Eine große Hand legte sich auf seine Schulter. Ethan war hinter ihn getreten. Danny machte sich mit einem Ruck los, sah immer noch Sydney an. »Warum haben Sie ihm nicht gesagt, dass wir hier sind?«
»Es tut mir Leid…« Sie hob die Arme, die Handflächen in einer hilflosen Geste nach oben gedreht.
In seinem Magen brannte es. »Sie lügen!«
»Timothy Mulligan hat keine Kinder.«
»Das stimmt nicht!« Lügnerin. Mit wild pochendem Herzen wich Danny zurück. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment zerspringen. Warum tut sie das?
»Es tut mir Leid.«
»Warum lügen Sie mich an?« Er schrie es fast.
Danny wich immer weiter vor Sydney zurück, schaute Ethan und Callie an, dann wieder Sydney. Sie war eine Lügnerin wie die anderen, wie die Wärter. Wie Anna. Er hasste sie. Er hasste sie alle. Seine Augen brannten. Ihm war schlecht. Er fuhr herum und lief davon in den Wald, während das Wort unablässig in seinem Kopf hämmerte.
Lügner. Lügner. Lügner.
***
Ethan trat einen Schritt vor und hinderte Sydney daran, dem Jungen zu folgen. »Lass ihn. Du kannst ihm jetzt nicht helfen.«
Tränen wallten in ihren Augen auf. Sie machte den Eindruck, als wolle auch sie davonlaufen. Stattdessen ging sie zu Callie und nahm die Hände des Mädchens. »Es tut mir Leid, Liebes.«
»Es ist nicht Ihre Schuld«, sagte Callie so traurig, dass es Ethan zu Herzen ging.
»Ich weiß.« Sydney schaute zu dem Baum, hinter dem Danny verschwunden war. »Aber ich wünschte, ich könnte es wieder gutmachen.«
»Wie ist er denn so?«
»Er ist kein besonders netter Mann.«
Callie biss sich auf die Lippe, doch ihre Augen blieben trocken. »Machen Sie sich keine Sorgen um Danny, ich kümmere mich schon um ihn.«
Sydney berührte die Wange der Kleinen, eine Geste, die Ethan tausend Mal gesehen hatte, als ihr Sohn noch lebte. Er schloss die Augen, als die Erinnerung ihn mit schmerzhafter Wucht traf. Sie hatten so viel verloren. Nicht nur ihren Sohn, auch all die vielen alltäglichen Dinge, die aus ihnen erst eine Familie gemacht hatten.
»Ist schon okay«, sagte Callie. Das Kind tröstete die Erwachsene. »Sie haben's wenigstens versucht.« Dann ging sie zu ihrem Bruder.
»Geht's wieder?«, fragte Ethan. Er nahm Sydney seine Jacke ab und warf sie über das Verandageländer.
»Ich weiß nicht.« Ihr Blick ruhte auf den beiden Kindern. »Ich hatte gehofft…« Nun schaute sie Ethan an. »Es war nicht gerade angenehm. Mulligan ist ein mieser Dreckskerl. Ich bin beinahe froh, dass er die Kinder nicht will.«
Ethan streckte die Hand nach ihr
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