Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
D u, schau dir mal den Mann dort an. Nein, warte, jetzt nicht, dreh dich zu mir und laß uns plaudern. Ich möchte nicht, daß er herschaut und mich sieht, ich möchte nicht, daß er mich grüßt. Jetzt kannst du dich wieder umdrehen … Der Kleine, Untersetzte im Pelzmantel mit dem Marderkragen? Aber nein. Der dort, der Große, Bleiche im schwarzen Mantel, der jetzt mit dem mageren blonden Konditoreifräulein redet. Jetzt kauft er kandierte Orangenschalen. Komisch, mir hat er nie kandierte Orangenschalen mitgebracht.
Was mit mir los ist? … Nichts. Warte, ich muß mir die Nase putzen.
Ist er weg? Sag’s mir, wenn er weg ist.
Jetzt zahlt er? … Was hat er für eine Brieftasche? Schau gut hin, ich selbst mag nicht hinsehen. Ist es eine aus braunem Krokodilleder? … Ja? Siehst du, das freut mich.
Warum? Einfach so. Na ja, die Brieftasche habe ich ihm geschenkt, zum vierzigsten Geburtstag. Das war vor zehn Jahren. Ob ich ihn geliebt habe? … Da fragst du etwas Schwieriges. Ja, ich glaube, ich habe ihn geliebt. Ist er jetzt weg? …
Gut, daß er gegangen ist. Warte, ich will mir die Nase pudern. Sieht man, daß ich geweint habe? … Blöd, aber so ist man eben. Noch immer bekomme ich Herzklopfen, wenn ich ihn sehe. Ob ich sagen kann, wer das war? Natürlich, Liebes, es ist kein Geheimnis. Das war einmal mein Mann.
Du, laß uns Pistazieneis bestellen. Ich verstehe nicht, warum man sagt, im Winter könne man kein Eis essen. Ich komme am liebsten im Winter in diese Konditorei, um Eis zu essen. Manchmal denke ich, man kann alles, ganz einfach, weil es möglich ist, es braucht gar nicht gut oder sinnvoll zu sein. Aber seit ich allein lebe, komme ich im Winter überhaupt gern hierher, zwischen fünf und sieben. Ich mag diesen roten Salon mit dem Mobiliar aus dem letzten Jahrhundert, die alten Konditoreifräuleins, die Spiegelfenster und das Großstädtische des Platzes davor, die Leute, die ein und aus gehen. Etwas Warmes ist in alldem, ein Hauch von Jahrhundertwende. Und hier gibt es den besten Tee, hast du es gemerkt? …
Ich weiß, heute gehen die Frauen nicht mehr in die Konditorei, sondern ins Espresso , wo alles rasch abgewickelt wird und man sich nicht bequem hinsetzen kann, der Kaffee kostet vierzig Fillér, und zu Mittag ißt man einen Salat, das ist die neue Welt. Ich hingegen gehöre noch zur alten Welt, ich brauche noch diese feine Konditorei mit ihrem Mobiliar, ihren Seidentapeten und ihren alten Gräfinnen und Erzherzoginnen und Spiegelschränken. Ich sitze nicht täglich hier, wie du dir wohl denken kannst, aber im Winter schaue ich ab und zu herein, es ist ein angenehmer Ort. Früher haben wir uns oft hier getroffen, mein Mann und ich, zur Teezeit, nach sechs, wenn er aus dem Büro kam.
Ja, auch jetzt ist er aus dem Büro gekommen. Zwanzig nach sechs, das ist seine Zeit. Noch heute kenne ich jeden seiner Schritte so genau, als lebte ich sein Leben. Um fünf vor sechs klingelt er nach dem Diener, sein Mantel und Hut werden abgebürstet, man hilft ihm hinein, dann macht er sich auf den Weg, läßt den Wagen vorausfahren und folgt zu Fuß, um frische Luft zu schöpfen. Er hat zuwenig Bewegung, deshalb ist er so blaß. Vielleicht auch aus anderen Gründen, was weiß ich. Ich weiß es nicht, weil ich ihn nie sehe, nie mit ihm rede, seit drei Jahren nicht mehr. Ich mag die zartbitteren Scheidungen nicht, bei denen die Ehehälften Arm in Arm aus dem Gericht kommen, im berühmten Stadtwäldchen-Restaurant gemeinsam zu Mittag essen, aufmerksam und liebevoll miteinander, als wäre nichts geschehen, bis dann nach erfolgter Scheidung und erfolgtem Mittagessen jeder seinen Weg geht. Ich bin eine Frau von anderen Sitten und anderem Temperament. Ich glaube nicht daran, daß Mann und Frau nach der Scheidung gute Freunde bleiben können. Eine Ehe ist eine Ehe, und eine Scheidung ist eine Scheidung. So sehe ich das.
Und du, was meinst du? Allerdings warst du ja nie verheiratet.
Siehst du, ich glaube nicht, daß etwas, das die Menschen erfinden und dann jahrtausendelang bedenkenlos wiederholen, eine reine Formalität ist. Für mich ist die Ehe wirklich etwas Heiliges. Und die Scheidung halte ich für ein Sakrileg. So bin ich erzogen worden. Aber ich glaube das auch aus anderen Gründen, nicht nur, weil mich meine Erziehung und meine Religion dazu zwingen. Ich glaube es, weil ich eine Frau bin und die Scheidung für mich ebensowenig eine leere Formalität ist wie die Zeremonie auf dem Standesamt und in der
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