Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
wenn deine Arbeit getan ist und alles, das jetzt noch lebt, tot sein wird, wirst du von diesem Ort hier in den Himmel geleitet werden. Nur auf diesem Weg wirst du jemals Frieden finden. Das ist ein Versprechen.«
Weniger als drei Stunden später kehrten die beiden Männer zu den wartenden Kriegermönchen zurück. An jenem Abend sprach Bosco bis tief in die Nacht zu einem schweigenden Cale.
»Weißt du, warum Gott dich erschaffen hat?« Das war ein jederzeit erkennbares Zitat aus dem Katechismus des Gehängten Erlösers. Cales Antwort, so vorsichtig er sie auch vortrug, kam dennoch prompt und wie von selbst.
»Er schuf uns, damit wir ihn erkennen und lieben.«
»Und glaubst du, dass er dich gut geschaffen hat?«
»Nach meiner Erfahrung: nein«, antwortete Cale. »Aber vielleicht hatte ich auch nur besonders viel Pech.«
»Deine Erfahrung hat sich in den letzten acht Monaten sehr stark erweitert. Tatsächlich sogar in einzigartiger Weise. Gott hat eindeutig deine Flucht angeordnet und all die ungewöhnlichen Ereignisse, die dir geschahen, damit du diese Frage beantworten kannst. Du gingst Hand in Hand mit den Großen und Guten dieser Welt, du wurdest von den schönsten Menschen auf jede nur denkbare Weise geliebt, hast wertvollste Dienste geleistet und wurdest am Ende für all deine Mühen doch nur verraten.«
All diese Dinge hatten aus Boscos Sicht den großen Vorteil, dass sie mehr oder weniger genau auf das zutrafen, was der junge Mann selbst für die Wahrheit hielt: Selbstmitleid und Wahrheit bildeten ein harmonisches Ganzes.
»Ich würde sagen«, fuhr Bosco fort, »dass du so viel wie jeder andere zu sehen bekommen hast, um zu wissen, dass der Mensch des Menschen Wolf ist.«
»Scheinheilige«, antwortete Cale. »Ich bin in jüngster Zeit vielen von ihnen begegnet. Damit meine ich, dass ich erst jetzt erkenne, wie viele es von ihnen gibt.«
»Der Vorwurf ist an mich gerichtet, nehme ich an«, erwiderte Bosco, war aber offenbar nicht beleidigt. »Wenn es so ist, fürchte ich, dass du näher erklären musst, warum.«
»Wie könnt Ihr mir ungerührt ins Gesicht blicken und gleichzeitig über Verrat plappern?«
»Du hast mich immer noch nicht verstanden. Nehmen wir einmal an, ich hätte dich in der Obhut der Art von Menschen gelassen, die dich für ein paar Kreuzer verkaufen wollten. Seit dem Tag, an dem du zu laufen lerntest, wärst du hinter einem Pflug hergelaufen und hättest fünfzehn Stunden am Tag den Arsch eines Pferdes anstarren müssen – dumm, unwissend, wahrscheinlich wärst du inzwischen schon tot – eine Art Nichts.«
»Gott erbarmte sich meiner. Außerdem hielt ich mich für etwas Besonderes.«
»Es gibt sehr viele Menschen, die von Geburt an etwas Besonderes sind. Wie der Gehenkte Erlöser einmal sagte: ›Gar viele Blumen erblühen unbesehen, und ihre Lieblichkeit wird an die Wüstenluft verschwendet.‹«
Cale lachte. »Eine Blume? Ich bin in der Tat lieblicher und blumenhafter, als viele Menschen mir zuschreiben wollen.«
»Dichterische Freiheit, gewiss, aber ich will es für dich ein wenig deutlicher ausdrücken: Du wurdest geboren, um durch das Schlachtgemetzel zum Thron Gottes zu waten. Viele sind erwählt, doch nur wenige sind auserwählt. Aber ich habe dich erwählt und dich darauf vorbereitet, der Erfüller des verheißenen Endes zu werden.«
»Ist Euch überhaupt bewusst, wie verrückt das alles klingt?«
»In der Tat, es ist mir bewusst. In Augenblicken des Zweifels habe ich an meiner eigenen Vernunft gezweifelt.« Er lächelte, ein seltsam anziehend wirkender Ausdruck von Selbsterkenntnis und Selbstironie.
»Und dann?«
»Dann überlege ich, welches Kunstwerk der Mensch doch ist. Wie mangelhaft seine Vernunft, wie ärmlich seine Fähigkeiten, wie hässlich seine Form und seine Bewegung, wie sehr er im Kampf wie ein Teufel erscheint, in seiner Ängstlichkeit jedoch einer Kuh gleicht. Die Krone der Schöpfung auf dieser Welt? Der Inbegriff des Tieres? Für mich nichts weiter als die Quintessenz des Staubs.« Bosco schien sich für einen Moment selbst vergessen zu haben, aber nun blickte er Cale durchdringend an.
»Du stimmst mir nicht zu?«
Cale gab keine Antwort.
»Lass deinen Hass auf mich einmal für einen Augenblick beiseite, und betrachte deine Welterfahrung. Aus tiefstem Herzen– stimmst du mir zu oder nicht?«
»Sprecht weiter.«
»Es ist nicht das erste Mal, dass der Herr die Menschheit um ihrer Fehler willen auslöscht. Im Allgemeinen ist kaum bekannt, dass
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