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Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf

Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf

Titel: Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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Grafschaft betrachtet würden.
    So war es Iomirs Eltern ergangen, die, wenn sie je zurückkommen sollten, um ihre Tochter zu holen, sich der Entführung Minderjähriger strafbar machten und zum Tode verurteilt würden.
    Wie ein Militärstratege, der das Terrain für eine Kampfhandlung auskundschaftet, machte Robi sogleich die Position Tracarnas aus sowie die der schlimmsten Mitglieder der Partei der Verlassenen, in erster Linie Creschio und Moron, aber auch Cala, diejenige, die einen Finger weniger hatte und Iomir aus tiefster Seele hasste. Creschio und Moron waren weit weg, auf der anderen Seite des Weinbergs. Tracarna stand ungefähr auf halbem Weg zwischen Robi, Iomir und dem verborgenen Schatten, doch sie schaute zum oberen Teil des Hügels hinauf, wo eines der kleineren Kinder hingefallen war und sich wehgetan hatte, doch das Schlimme war, dass es den Korb mit den gepflückten Trauben umgeworfen hatte. Die Gefahr war Cala, sie stand nur wenige Schritte von dem geduckten Schatten entfernt. Zum Glück war auch sie durch die Sache mit dem umgefallenen Korb und den darauf bezüglichen Schimpftiraden Tracarnas abgelenkt, aber das würde nicht lang anhalten. Fieberhaft dachte Robi nach, versuchte, sich etwas einfallen zu lassen, dann begann sie, wie eine Verrückte zu rennen, so weit wie möglich von dem geduckten Schatten weg: »Eine Schlange, Hilfe, eine Schlange!«, schrie sie aus Leibeskräften.
    »Sei sofort still und geh zurück an deine Arbeit, dummes Gör«, brüllte Tracarna zur Antwort darauf, »das kann höchstens eine Blindschleiche sein.«
    Zu spät. Panik war zwischen den Reihen der Rebstöcke ausgebrochen, oder vielleicht war es auch nur ein Vorwand, um weniger zu singen und Trauben zu essen. Die Kinder hatten aufgehört, Trauben zu lesen. Angstschreie wurden laut und alle stoben in alle Richtungen auseinander und rannten sich gegenseitig über den Haufen. Robi lief weiter und tat so, als hätte sie Angst, fuchtelte mit den Händen und stieß ein erschrecktes Gezeter aus. Sie stolperte über eine Wurzel und fiel der Länge nach auf eine dieser enormen Kiepen, in die die Kinder nach und nach ihre Körbe entleerten, nachdem sie sie in den Reihen gefüllt hatten. Die Kiepe schwankte ein paarmal hin und her, dann kam sie endgültig aus dem Gleichgewicht, kippte um und begann, nach unten zu rollen, wobei sie einen Teil ihres Inhalts verlor, aber nicht viel, das meiste blieb drin. Als die Kiepe zuletzt noch einmal auf einem Stein aufprallte und dann geradewegs auf Stramazzo zuflog, war sie praktisch voll. Es gab ein mordsmäßiges Getöse. Alle schrien. Tracarna stürzte hinunter, um ihren Gefährten zu retten, doch die Maße der Kiepe schienen wie auf Stramazzo zugeschnitten, denn er steckte darin fest. Creschio und Moron liefen herbei, um zu helfen, was der ganzen Szene - die beiden, die auf der einer Seite zogen, Tracarna auf der anderen und Stramazzo in der Mitte, der in der Kiepe steckte, schrie und dabei Traubensaft verspritzte - einen Zug von unfreiwilliger, unwiderstehlicher Komik verlieh. Im Weinberg fing denn auch der eine oder andere lauthals zu lachen an. Aus den Augenwinkeln sah Robi, wie Iomir im Arm des dunklen Schattens zwischen den Rebstöcken verschwand.
    Das hatte geklappt.
    Aber jetzt hatte sie selbst ein Problem. Sie versuchte, sich etwas einfallen zu lassen, wie sie aus dem Schlamassel wieder herauskommen sollte, aber ihr Hirn war leer, nichts regte sich dort, wie auf der Oberfläche des kleinen Teichs hinter ihrem Haus, wenn die Enten im Winter nach Süden gezogen waren.
    Stramazzo hatte sich endlich aus der Kiepe befreien können, triefend von Traubensaft wie ein Fass im Herbst, hatte er sich aufgerappelt und kam nun auf sie zu; er ließ dabei erkennen, dass es bei ihm außer dummer Selbstzufriedenheit und schlichter Dummheit noch einen dritten Gesichtsausdruck gab: Wut. Auch so wirkte er nicht intelligent, aber zum Angsteinjagen reichte es.
    »Du... du«, begann er und streckte den Finger gegen sie aus, »du... du«, seine Stimme erstickte.
    Robi hatte nicht die geringste Lust zu erfahren, was nach diesem »du« kommen sollte. Sie fragte sich, wie viele Chancen sie bei einem Fluchtversuch hätte: keine. Creschio und Moron versperrten ihr den Weg.
    Sie fragte sich, wie viele Schläge man ihr verpassen würde und wie oft man sie vom Anstehen um den Maisbrei und den Apfel ausschließen würde, und Angst vor dem Schmerz und Verzweiflung über den Hunger erfüllten sie.
    Zum ersten Mal

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