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Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf

Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf

Titel: Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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Tausende Fuß senkrecht abfallende Wände, dazwischen steil aufragende Granitspitzen, so hoch wie Dutzende übereinandergestapelte Türme. Im Hintergrund taten sich weite Täler auf mit Lärchenwäldern und Lichtungen und noch weiter hinten lag in all seiner Großartigkeit das Meer.
    Die Kälte war unerträglich. Die Stelle war perfekt. Seine Idee war, mit dem Drachen fangen zu spielen, bis an den Rand der Felswand zu laufen, der Drache hinter ihm her. Yorsch würde sich über den Rand schwingen, sich aber dann unter der Böschung festkrallen, an einer bestimmten Stelle gab es da eine kleine Nische, die wie geschaffen dafür schien. Der Drache aber würde, einmal in Schwung, über den Rand hinauslaufen, den Boden unter den Füßen verlieren und seine großen Flügel öffnen und auf den Felsvorsprung zwanzig Fuß weiter unten hinabsegeln. Da war reichlich Platz. Überhaupt keine Gefahr für den Kleinen, dass er in die Schlucht fallen könnte. Der Plan war so genial wie einfach.
    Yorsch rannte los. Er schwenkte die Arme, lachte und rief den Kleinen. Erbrow war selig. Er winselte vor Freude. Kleine Freudenflämmchen aus seinen Nüstern schmolzen hier und da den Schnee und erwärmten die Luft.
    Jetzt, dachte der Elf. Er nahm Anlauf. Hinter sich hörte er, wie der Boden unter den schwerfälligen Tritten des Kleinen bebte. Am Rand des Felsens angekommen, schwang er sich in die Nische und duckte sich hinein, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Erbrow konnte nicht bremsen, verlor den Boden unter den Füßen, fiel völlig verschreckt und ohne die Flügel zu öffnen, nach unten und schlug zwanzig Fuß weiter unten auf dem Felsvorsprung auf.
    Entsetzt blieb er da liegen, denn zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich wehgetan, und zwar sehr. Sogar sein Fell und seine Schuppen, die ihn vor allem schützten, waren aufgerissen, zerfetzt, schmutzig und blutverschmiert. Der kleine Drache weinte nicht einmal. Langsam hob er den Kopf und seine Augen suchten Yorsch. Mit aufgerissenen Augen starrte er Yorsch an.
    Tausendsechshundert Pfund Erstaunen. Tausendsechshundert Pfund Verzweiflung, Schmerz und Enttäuschung. Sogar in seinem Neugeborenenhirn begriff er, dass das absichtlich geschehen war. Wie hatte er ihm das antun können? Warum hatte er ihm das angetan?
    Dann senkte der kleine Drache den Kopf wieder. Diesmal fing er an zu weinen, ein leises Winseln. Keine Flammen, als ob das Feuer erloschen wäre.
    Yorschkrunsquarkljolnerstrink fühlte sich elend. Der Kopf sank ihm auf die Brust. Er konnte nicht mehr.
    Er empfand seine Einsamkeit schrecklich wie eine Stahlglocke, die ihm die Luft zum Atmen nahm.
    Er hatte sich durch Schlamm und Regen geschleppt. Ein Mann und eine Frau hatten ihm geholfen, aber ihn nicht getröstet, denn sie waren Menschen und er ein Elf und eine Wand von Fremdheit und Unverständnis hatte immer zwischen ihnen gestanden.
    Dreizehn Jahre hatte er mit einem Drachen zugebracht, der zu sehr mit den Ängsten um seine Brut beschäftigt war, als dass er ihn und seine Gedanken wirklich hätte wahrnehmen können, und jetzt, jetzt hatte er wieder niemanden. Er hätte sich gewünscht, dass ihn jemand tröstete, ihn umarmte und sagte: »Das hast du gut gemacht, mein Junge, du hast dein Möglichstes getan, hast dein ganzes Wissen eingesetzt. Mach dir keine Sorgen: Jetzt kümmre ich mich darum.«
    Die Worte »Mach dir keine Sorgen, ich kümmre mich darum« hatte er noch nie in seinem Leben gehört.
    Er hätte sich gewünscht, dass jemand ihn riefe, um zu sagen, das Abendessen ist fertig.
    Er hätte sich jemanden gewünscht, der ihn am Abend fest zudeckte.
    Es hätte sich gewünscht, dass jemand käme, der so groß und weise war, dass er dem kleinen Drachen helfen konnte, jemand, der wusste, was man sagen und tun musste, damit er weniger litt.
    Aber da war weit und breit niemand. Nur er. Und ein verzweifelter kleiner Drache.
    Er musste allein zurechtkommen. Er erinnerte sich, dass er ein Kaninchen und ein Huhn, die durch ihre Verletzungen schon über den Tod hinaus waren, geheilt und ins Leben zurückgerufen hatte. Er hatte Sajra geholfen, das Wasser aus ihren Lungen zu bringen. Es gab niemanden, der mächtiger und größer war als er, aber ihn gab es. Besser als nichts.
    Er war da. Das würde reichen. Er musste zum kleinen Drachen gehen, den Schmerz seiner Wunden lindern, die Wunden heilen. Die eigenen Wunden konnte er nicht heilen, die der anderen wohl.
    Dann musste er den Kleinen trösten, und auch sich selbst. Trösten ist

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