Die Letzten ihrer Art 01 - Der letzte Elf
Richter gegangen, sondern man hatte sie mit Gewalt hierhergeschleppt, und sollte sie je irgendwelche Zauberkräfte besitzen, würde sie diese dafür einsetzen, die Zellentür aufzuschließen und sich schnellstmöglich aus dem Staub zu machen, aber der Richter fing wieder an zu reden, ohne ihr die Zeit für eine Antwort zu lassen. »Du weißt bestimmt, wer ich bin, nicht wahr?«
Einen Moment war Robi im Zweifel. Der eine Teil von ihr, wo Stolz und Mut vorherrschten, hätte antworten wollen: der Mörder meiner Eltern, derjenige, der ihr Todesurteil unterschrieben hat, der miese Verbrecher, der Ungerechtigkeit und Elend um sich verbreitet wie eine Kerze ihr Licht. Der andere Teil, der das Leben, das ihre Eltern ihr vermacht hatten, um jeden Preis fortsetzen wollte, riet dazu, bei der offiziellen Amtsbezeichnung zu bleiben: »Ihr seid der Richter...«, vielleicht mit noch ein paar Eigenschaftswörtern ausgeschmückt: »groß... edel...«.
Doch auch dieses Mal brauchte sie keine Entscheidung zu treffen. Der Richter führte keinen Dialog, sondern hielt einen Monolog, den er durch Fragen auflockerte und belebte. Ihre Antworten waren nicht vorgesehen.
»Ich bin der, der gekommen ist, um diesen Landen Gerechtigkeit zu bringen, Gier, Habsucht und Hochmut auszurotten. Das ist eine zu erhabene und vornehme Aufgabe, als dass man sich durch Mitleid darin beirren lassen dürfte. Ich weiß das! Wie ein Arzt, der tapfer ein Glied amputiert, wenn es vom Wundbrand zerfressen ist, so werde ich den Körper dieser unglückseligen und geliebten Grafschaft heilen. Weißt du, weshalb ich, der höchste Repräsentant der Grafschaft Daligar, mich dazu herabgelassen habe, zu dir hinunterzusteigen und mit dir zu sprechen?«
Diesmal kostete es Robi überhaupt keine Anstrengung, den Mund zu halten, denn sie hatte wirklich nicht die geringste Ahnung.
»Weil ich will, dass du verstehst. Es mag grausam scheinen, ein Kind zu töten, ich weiß. Das ist auch der Grund, warum du nicht öffentlich auf dem Platz hingerichtet wirst, wie deine unglückseligen und unbedeutenden Eltern, sondern hier, geschützt vor den Blicken derer, die das vielleicht nicht verstehen würden. Ich will aber, dass du verstehst, denn sonst, das weiß ich, könntest du in deinem unglückseligen und unbedeutenden Hirn meine Herrlichkeit der Ungerechtigkeit bezichtigen, nicht wahr? Das wäre unerträglich für mich. Weißt du, dass dieser Hungerleider von deinem Vater es gewagt hat, mit lauter Stimme zu verkünden, das Einzige, was ihn interessiere auf dieser Welt, verstehst du, mehr als Daligar und ich, verstehst du, das Einzige, was ihn interessiere auf dieser Welt, sei seine unglückselige und unbedeutende Frau und seine noch unbedeutendere und unglückseligere Tochter?«
Robi kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Bei sich hatte sie oft an den Verwaltungsrichter gedacht und ihn sich wie eine Art Herrn des Bösen vorgestellt, ziemlich stolz auf die eigene Grausamkeit, mehr oder weniger ein Ungeheuer, nur raffinierter und geschickter. Irrtum! Außer wirklichen Ungeheuern erklärte sich niemand selbst zum »Herrn der Finsternis«. Wie Tracarna und Stramazzo war der Verwaltungsrichter von Grund auf gut; böse waren die anderen, die, die etwas beiseiteschafften, um ihre Kinder satt zu bekommen, die nicht Hungers sterben und im Massengrab ein Fraß für die Hunde werden wollten. Ein Volk von halb verhungerten Sklaven, die nichts mehr liebten und für die nichts mehr einen Einsatz wert war, darauf zielten seine Gesetze. Ja, sein eigentliches Ziel war eine Masse von Menschen, die nichts mehr liebten außer ihn, den Verwaltungsrichter, ihn wirklich liebten und wirklich an ihn glaubten.
»Wir haben deinen Elfen geschnappt!«, verkündete der Richter ihr mit grausamem Stolz. »Er hat sich vor Kurzem freiwillig unseren Wachposten ergeben. Er weiß, dass wir unbesiegbar sind, und hat nicht einmal versucht zu kämpfen. Ich weiß, das ist der Augenblick des Triumphs für uns! Nicht wahr?«
Gut. Das also war der Weg, den der Prinz gewählt hatte, um zu ihr zu gelangen. Sich ergeben: einfach und genial. Erleichtert atmete Robi auf. Glücklicherweise hielten Dummheit und Grausamkeit sich die Waage. Offenbar fand der Richter es völlig in der Ordnung, dass ein mit außergewöhnlichen Kräften begabter Herr, der außerdem noch auf einem Drachen ritt, nichts lieber tun würde, als ihn, den obgenannten Verwaltungsrichter, zu beglücken, indem er sich ihm freiwillig ergab, um sich alsbald ohne
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