Die letzten ihrer Art
Tages rief er mich in sein Arbeitszimmer und sagte, ›Jones‹, sagte er, ›das ist einfach nicht mehr tragbar. Du vergeudest dein ganzes Leben, indem du rumläufst und unter Hecken guckst. Du verbringst kein bißchen Zeit mit deinen Schulaufgaben. Du bist ein Versager. Was soll bloß aus dir werden?‹
Ich sagte – und vergeßt nicht, das war in Wales: ›Sir, ich möchte zu tropischen Inseln reisen und Vögel studieren.‹
Er sagte: ›Dazu muß man aber entweder reich oder intelligent sein, und du bist beides nicht.‹
Ich verstand das als eine Art Ermunterung, schaffte es letztlich, ein paar Prüfungen zu bestehen, ging aufs College und dann zum Studieren nach Oxford. Da hörte ich eine Vorlesung von Professor Tom Cade, der ein international anerkannter Experte für Falken ist. Er erzählte uns, wie man in Amerika mit Wanderfalken arbeitete, indem man sie in Gefangenschaft aufzog und die Jungtiere dann wieder in die freie Wildbahn entließ.
Ich konnte es kaum glauben. Das war unheimlich aufregend. Das waren Leute, die losgingen und wirklich etwas taten. Dann sagte er, daß es auf einer Insel namens Mauritius im Indischen Ozean einen sehr seltenen Vogel gebe, vielleicht den seltensten Falken überhaupt, nämlich den Mauritiusfalken, der vom Aussterben bedroht sei, aber möglicherweise durch die Aufzucht in Gefangenschaft gerettet werden könne. Und plötzlich wurde mir bewußt, daß all die Arbeit, die ich mir als Kind in meinem Hinterhof gemacht hatte, dieses Vertrödeln von Zeit mit den Vögeln, unter Umständen dazu beitragen könnte, eine ganze Art vor dem Aussterben zu bewahren.
Ich war hin und weg vor Aufregung und dachte, Mensch, da muß doch was zu machen sein. Also ging ich im Sommer nach Amerika und sah mir dort ein paar Projekte genauer an, begriff, wie man vorging, und schwor mir, daß ich, wenn irgend möglich, nach Mauritius gehen und an der Rettung des Mauritiusfalken mitarbeiten würde.
Daraufhin bekam ich zu hören: ›Tja, Carl, das ist ja schön und gut, daß du nach Mauritius gehen und an der Rettung des Mauritiusfalken mitarbeiten willst, nur gibt es da unten einen Haufen Schwierigkeiten, und du kannst diese Vögel nicht retten. Es sind einfach zu wenige. Nur ein brütendes Pärchen und ein paar Einzelgänger. Und bei all den Problemen vor Ort und ohne Einrichtungen ist einfach nichts zu machen. Es gibt da ein kleines Projekt, aber das muß eingestellt werden. Da noch Mittel zu investieren hieße, gutes Geld aus dem Fenster zu werfen.‹ Aber ich bekam den Job. Den Job, das Projekt einzustellen. Das war der Job, wegen dem ich vor zehn Jahren hergekommen bin: die ganze Geschichte zu beenden beziehungsweise das, was noch davon übrig war. Von all dem hier war damals noch überhaupt nichts da«, sagte er und sah sich in dem Zuchtzentrum um, in dem sie mehr als vierzig Mauritiusfalken, zweihundert Rosa Tauben und sogar hundert Rodrigues-Flederhunde zur schrittweisen Wiedereinführung in die freie Wildbahn herangezüchtet hatten. »Scheint, als müßte ich einräumen«, sagte er mit einem frechen Grinsen, »daß ich auf ganzer Linie versagt habe.«
Als er seine Geschichte beendet hatte, ließ er die Hand aufs Knie sinken und warf zufällig einen Blick auf die Uhr. Sofort sprang er mit gequältem Gesichtsausdruck auf und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. Er kam zu spät zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung.
Während unseres Aufenthaltes auf Mauritius hörten wir ihn regelmäßig und bitterlich klagen, er sei für Verwaltungsarbeiten oder Aufgaben, die diplomatisches Geschick erforderten, überhaupt nicht geeignet, müsse aber trotzdem irrsinnig viel Zeit mit beidem zubringen, um weiterarbeiten zu können. Er sei unentwegt damit beschäftigt, Geld aufzutreiben, sich den Geldgebern gegenüber zu rechtfertigen und zu erklären, wofür er das Geld ausgab, und mit diversen internationalen Schutzorganisationen zu verhandeln, die ihm offenbar ständig über die Schulter schielen. Und das hält ihn seiner Meinung nach bloß davon ab, das zu tun, was er am besten kann, und deshalb wäre es ihm am liebsten, sie ließen ihn einfach in Ruhe weiterarbeiten. Oder noch lieber, sie gäben ihm das Geld und ließen ihn einfach in Ruhe weiterarbeiten. Das Projekt zum Schutz der empfindlichen und einzigartigen mauritischen Umwelt muß mit einem erbärmlich mageren Budget auskommen, und Geld – beziehungsweise der Mangel daran – ist der Fluch, der auf Carls Leben lastet. »Man sollte meinen, daß alle, die
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