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Die letzten Kinder von Schewenborn

Die letzten Kinder von Schewenborn

Titel: Die letzten Kinder von Schewenborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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noch tagelang. Aber sie widerten mich an. Nur die Mutter zeigte keinen Widerwillen gegen dieses Fleisch. Sie aß sowieso nicht viel und kaute gedankenverloren noch das zäheste Stück weich.
    Zufällig kamen wir wieder an dem Feld mit der Winterroggen-Saat vorüber. Erst dachten wir, es sei ein anderes Feld, weil wir nicht glauben wollten, was wir sahen. Aber ich erinnerte mich genau an die drei Birken am Rain. Es war dasselbe Feld! Zwischen Schneewehen lag die Saat bloß.
    Sie war gelb geworden, hier und dort schon braun.
    »Hier gibt's in diesem Jahr keine Roggenernte«, murmelte der Vater niedergeschlagen.
    Wir schliefen nur noch in Viehschuppen auf den Koppeln. Manchmal mußte der Vater einen Platz für uns erkämpfen, weil schon andere Obdachlose darin Unterschlupf gefunden hatten. Wir bekamen Läuse und Flöhe, und dem Vater erfroren zwei Zehen, Zu allem Unglück brach auch noch der Fahrradanhänger auseinander. Er ließ sich nicht mehr reparieren.
    Hinter Herbstein begann die Mutter zu fiebern, bald auch Jens. Die Grippe hatte uns eingeholt. Wir blieben über eine Woche in einer Feldscheune, in der noch ein Haufen Heu aus dem letzten Jahr lag. Er war groß genug, um sich hineinzuwühlen. Wir mußten hilflos zusehen, wie Jens vor Fieber glühte und immer schwächer, immer apathischer wurde. Der Vater rannte zum nächsten Dorf, um heißen Tee aufzutreiben. Aber sie ließen ihn nicht hinein - schon gar nicht, als sie erfuhren, daß er von Kranken kam.
    In der vierten Nacht wachte ich auf, weil die Mutter so laut keuchte. Ab und zu murmelte sie ein paar Worte. Das meiste konnte ich nicht verstehen. Ich griff nach ihrer Hand. Die war glühend heiß. Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich tastete nach Jens, der neben der Mutter lag, fand sein Gesicht, fuhr sanft darüber. Es bewegte sich nicht unter der Berührung. Es war eiskalt. Ich hörte das Heu rascheln und merkte, daß der Vater wach lag.
    »Vater«, flüsterte ich erleichtert, »Jens ist nicht mehr heiß. Er hat kein Fieber mehr.«
    »Nein«, sagte der Vater mit brüchiger Stimme, »er hat kein Fieber mehr. Er ist tot.«
    Am nächsten Morgen legten wir ihn unter einen Holunderbusch hinter der Scheune. Er fror sofort steif. Ich schlich mich noch ein paarmal zu ihm hinaus und betrachtete ihn. Mir schien jetzt, ich hätte ihn noch lieber als Kerstin gehabt. Kerstin war schon so lange fort, so weit weg. Daß er nicht mein richtiger Bruder gewesen war, hatte sich in meiner Erinnerung längst verwischt.
    Wir wußten nicht, wie wir ihn begraben sollten. Die Erde war tief gefroren. Schließlich sammelten wir Steine, die wir vom Erdboden losschlagen mußten. Ich erinnerte mich wieder daran, wie ich Andreas begraben hatte. Mir schien es endlos lange her, obwohl es nur ein paar Wochen waren.
    Tote begraben, immerzu Tote begraben, das war eine der Hauptbeschäftigungen der Überlebenden. An diesem Morgen wünschte ich mir, nicht zu ihnen zu gehören. Ich beneidete Jens um die Ruhe, die er jetzt hatte.
    Langsam, sehr langsam wuchs der Steinhaufen über ihm. Falls es noch Krähen im Vogelsberg gab, sollten sie ihn nicht kriegen, unseren lieben kleinen Jungen.
    Die Mutter überstand die Grippe. Als ihr der Vater Jens' Tod so schonend wie möglich beibrachte, nickte sie nur. Sie weinte nicht einmal. Der Vater warf mir einen verzweifelten Blick zu. Etwas später sagte er zu mir: »Vielleicht ist es besser so.«
    Als wir wieder in Richtung Schewenborn weiterzogen, sprachen wir kaum noch miteinander. Jeder brütete vor sich hin. In unseren Köpfen bewegten sich keine klaren Gedanken mehr. Wir waren erschöpft.
    Der Vater schritt voran. Er hatte jetzt auch meine Koffer und die Schlafsäcke auf dem Kinderwagen. Die Mutter schleppte sich hinter ihm her. Sie wollte nicht geführt werden. Ich folgte ihr mit Rucksack und Reisetasche.
    So trotteten wir bis gegen Ende März weiter - jeden Tag nur ein paar lächerliche Kilometer. An manchen Tagen, wenn wir eine leidliche Unterkunft gefunden hatten, blieben wir einfach liegen.
    Kurz vor Lanthen brach die Mutter zusammen. Der Vater warf die beiden großen Koffer vom Kinderwagen in den Schnee, gab mir den kleinen Koffer mit den Babysachen zu tragen, steckte die Mutter in ihren Schlafsack und legte sie auf die anderen Schlafsäcke im Wagen. Die Koffer mußten wir liegenlassen.
    Schon vor Wietig begannen die ersten Wehen. Als die Mutter das dem Vater sagte, fing er an zu laufen. Wir schoben den Kinderwagen abwechselnd. Wir rannten in einen

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