Die letzten schönen Tage
lieben
kann, wenn man sie als vorläufige Entwürfe betrachtet, aus denen erst harte
Arbeit etwas Annehmbares machen wird. Daß eine lange Linie von Lebewesen mit
mir endet, eine Millionen Jahre alte Kette der Rache zerbricht – denn jede
Erziehung ist, meiner Meinung nach, eine Rache an den eigenen Eltern –, das
fand ich so wuchtig als Statement, eine dezidierte Haltung, entschlossen – und
doch hat mich neulich die Idee gekitzelt, meine Freundin zur Mutter zu machen,
einfach um mal zu sehen, was unsre addierten Gene so ergeben. Um auch mal etwas
Wehrloses – nein, ich weiß nicht, was ich sagen wollte, hab den Faden verloren.
Bitte, kann ich ein Glas Wasser haben? Ich will nicht mehr über dieses Zeug
reden, das macht mir Kopfschmerzen. Lieber über schöne Dinge.
Sitzungsprotokoll vom 28.1.
Eines Tages sah ich
dann Kati. Es war, als würde ich nach so vielen Jahren ins verjüngte Gesicht
meiner Mutter starren. Mit der Aussicht, alles könne noch einmal, aber ganz
anders sein. Ich war sofort verliebt in Kati und bekam sie auch rum, weil ich
mir viel, viel Mühe gab, Gedichte schrieb und mich massiv verstellte. Unser Sex
war nie besonders gut, was an mir liegt, ich bekomme das Bild meiner Mutter
nicht aus dem Kopf, habe bis heute Hemmungen, ich stochere so in ihr rum,
wissen Sie, meist komme ich zu schnell, und das noch mit einem Schuldgefühl.
Und Kati hat keinen Orgasmus, oder sehr selten. Mit anderen Männern schon. Woher
ich das weiß? Sie hat es mir nicht gesagt, nein, das spielt auch keine Rolle.
Spielt es doch? Nein, finde ich nicht. Egal. Sie kommt jedenfalls nur, wenn sie
selbst Hand an sich legt, weshalb ich mich wie ein Versager fühle, der nicht
alles probiert hat. Aber Gesprächen darüber weichen wir beide aus.
Wahrscheinlich aus Angst festzustellen, daß wir, banal gesagt, nicht
füreinander gebaut sind. Für unsere Beziehung spielt Sex keine allzu große
Rolle, jedenfalls haben wir uns stillschweigend darauf geeinigt. Sie ging
fremd, aber das ist nun vorbei. Es gab da wohl jemanden, der ihr Befriedigung
verschafft hat, aber eben sonst nichts. Sie weiß nicht, daß ich es weiß, und
ich habe sie nie explizit damit konfrontiert. Als es mir wirklich schlecht
ging, hat sie zu mir gehalten, da sieht man schon mal über manches hinweg. Auch
wenn es ein wirklich ekelhafter Typ war, mit dem sie da was am Laufen hatte.
Warum es mir schlecht ging? Das hat plötzlich angefangen, als sich der
zwanzigste Todestag meiner Mutter näherte. Sie starb, als ich dreizehn war, und
immer wieder verloren sich meine Gedanken in kruden Szenarien, und ständig
mußte ich diesen Beatles-Song vor mich her summen, Sgt. Pepper – it is twenty years ago today . Sie starb an einem 16. Dezember, dem Tag, als ich vor
knapp zwei Monaten hysterisch wurde und meinen Zusammenbruch erlitt. Ich mußte
Entwürfe für eine Werbekampagne vorstellen und wußte ab einem gewissen
Zeitpunkt nicht mehr, was ich tat und redete, hab mir gar in die Hosen gepißt
und geschrien. Lustigerweise war der Typ anwesend, mit dem Kati sich
verlustierte, aber das konnte ich damals noch nicht wissen. Die
Zwangshandlungen sind seither nicht mehr aufgetreten, man hat mich auch, muß
ich sagen, mit heftigen Medikamenten behandelt, ich lag tagelang wie ein
Hirntoter sediert im Krankenhaus, und ohne Kati hätten die mich noch lange dort
behalten. Nein, ich bin nicht aus der Behandlung geflohen, das kann man so
nicht sagen, ich habe mich selbst entlassen, das war ein sogenannter
Belastungsversuch, ich durfte mich frei bewegen an Silvester, nur für Kati
sollte es ein bißchen so aussehen, als gäbe es eine Lücke im System – naja,
Theater, Sie wissen schon, Romantik – ich packte meine Sachen und schlich auf Zehenspitzen,
hinaus, Kati fühlte sich toll dabei. Und ich konnte ja jederzeit zurück, falls
es mir schlechter ging. Kati schlug dann den Trip nach Malta vor, setzte auf
die Heilkraft der Sonne – und bisher hat sie recht behalten, mir geht es
einigermaßen gut, abgesehen vielleicht von gelegentlichen
Eifersuchtsaussetzern. Nein, dafür gibt es keinen konkreten Anlaß, ich wüßte
jedenfalls nicht. Ob ich trinke? Manchmal und in Maßen. Nein, um ehrlich zu
sein – in letzter Zeit öfter und sehr gern. Ohne mich abhängig zu fühlen,
trinke ich mich gern in einen kleinen Rausch, das geb ich zu. Das machen die
warmen Nächte. Ich fühle mich immer noch schwach und leide an Verlustangst. Ich
möchte Kati nicht verlieren, wie meine Eltern, und ich
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