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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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BECKY
    Am neunzehnten Februar, einem Freitag, ging Becky um zehn Uhr abends zu Bett, hatte sich aber
den Wecker auf halb eins gestellt. Sie schlüpfte in ihre Klamotten, ärgerte
sich über das Rascheln ihres Anoraks, huschte durchs Wohnzimmer und verließ das
Grundstück über die Terrasse, durch den Garten. Cyberjack wollte was losmachen,
und Ryan wollte auch da sein. Becky mochte Cyberjack, er hatte einen irrsinnig
reichen Vater und dementsprechend immer Knete. Cyberjack war in Behandlung
gewesen, weil er schlechte Noten bekam und acht Stunden am Tag vor dem Computer
hockte, World of Warcraft. Jetzt hatten sie eine Zeitschaltuhr angebracht, er
durfte nur noch maximal eine Stunde pro Tag spielen, verlor alle Highscores und
suchte sich einen Freund, ausgerechnet Ryan, der ein bißchen unheimlich wirkte,
leptosomer Gothic-Typ, der immer fror, sogar im Sommer, und einen schwarzen
Ledermantel trug, wie die Freaks von der Columbine. Damit wollte er Beachtung
schinden und wirkte doch irgendwie lächerlich – und erst seit er die
Freundschaft von Cyberjack gewonnen hatte, war sein Ansehen an der Schule
leicht gestiegen. Cyberjack konnte man vieles nachsagen, nur Geiz nicht, er
konnte mit der Kohle seines Daddys überall und jederzeit Party machen. Gut sah
er nicht aus, aber es ging. Becky mochte ihn wegen seines krassen Humors, vor
dem nichts sicher war. Sie lief durch den schwach beleuchteten Oriole-Park nach
Osten, es war nicht besonders kalt für Ende Februar. Die Jungs warteten unten
am Bahndamm Merton/Yongestreet, tranken Becks Lemon und rauchten, aber nur
normale Selbstgedrehte, ohne Scheiß.
    Komm heute Nacht, hatten sie
gesagt, wir machen was und brauchen dich zum Schmierestehn. Becky genoß es, daß
beide Jungs in sie verliebt waren oder wenigstens so taten und sich ihretwegen
manchmal in die Haare kriegten, auf freundschaftliche Art, nicht grob, nicht
ernst. Sie wußte um ihre Schönheit und war froh, daß sie zwei Jahre älter
aussah, als sie war, ansonsten hätten sich die beiden sicher nicht mit ihr
abgegeben. Gleichaltrige Jungs fand sie langweilig und unreif. Ryan drückte ihr
ein Bier in die Hand und fragte, ob er ihr eine drehen solle. Becky lehnte ab.
Sie hatte einmal einen Zug genommen und ihr war schlecht geworden, das genügte.
Ich dreh dir ne ganz Dünne. Das entspannt. Ryan gab nicht auf, aber Becky blieb
bei ihrem Nein. Was habt ihr vor? Cyberjack zeigte auf seinen Rucksack. Mein
Dad sagt, ich soll ins Freie, an die frische Luft, also tu ich ihm den
Gefallen, ne? Er hatte die Eigenart, an viele Sätze dieses Ne? anzuhängen, auch
wenn es gar keinen Sinn ergab. Ryan war definitiv der intelligentere von den
beiden (manchmal trug er ein Kafka-T-Shirt), aber auch der häßlichere. Er
gehörte zu jener Sorte, die sich eher noch etwas häßlicher machen, als die
Natur es für sie vorgesehen hat, mit weißer Schminke und Kajalstift, und seine
Eltern schienen nichts dagegenzuhaben, daß er sich schon drei Piercings hatte
stechen lassen. Cyberjack schwenkte den Rucksack mit beiden Armen über seinem
Kopf, und ein paar Dosen fielen raus. Spraydosen. Alles klar, meinte Becky, was
wollt ihr denn verschönern?
    Wir haben gedacht, einen
Waggon hier, ne? Cyberjack kicherte. Aber das ist ja nichts Besonderes, ne? Da
ham wir uns gedacht, muß cooler sein, die Action. Und um ehrlich zu sein, ne?
Ich bin kein Künstler, also nicht mit Bildern, ne? Klare Worte sind eher mein
Fall. Biste dabei?
    Wobei? fragte Becky.
    Biste dabei oder nicht? Geht
drum, dabei zu sein. Oder halt nicht.
    Was habt ihr denn vor?
    Eigentlich würd ich dich gerne
mal poppen, sagte Cyberjack, das hab ich vor. Aber das willste ja momentan grad
gar nicht, ne? Becky gab keine Antwort, seufzte nur angenervt, obwohl sein
krasser Humor ihr nicht mißfiel und sie zu einem Zungenkuß sogar bereit gewesen
wäre.
    Also mach ich was anderes.
Komm mit, wir rocken die Schule!
    Ryan sah den Zeitpunkt
gekommen, bei Becky zu punkten, er legte Cyberjack die Hand auf die Schulter,
als ob er ihn bändigen wolle.
    Wir sprayen was an die Mauer
vorm Eingang von der Yorkland. Daß jeder morgen früh die Botschaft schwarz auf
beige nachlesen kann.
    Wasn für ne Botschaft?
    Es schien, als habe Cyberjack
noch keine Ahnung, welche Botschaft er an die Schulmauer sprayen wollte.
Irgendwas Krasses. Nieder mit der Yorkland! zischte Ryan, Nonnen wollen
postmortalen Gruppensex mit Jesus! Und die Flaschenhälse klirrten aneinander.
Becky merkte, daß die Jungs schon betrunken

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