Die letzten Tage
wollte. Eben noch war sie fest davon überzeugt gewesen, dass er sie festnehmen und in Untersuchungshaft sperren lassen würde – und jetzt das!
Hastig stand sie auf und ging zur Tür. Bevor sie das „Aquarium“ verließ, drehte sie sich noch einmal um. „Danke“, sagte sie und ging, ohne eine Antwort abzuwarten. Es kostete sie fast ihre ganze Selbstbeherrschung, sich unauffällig zu verhalten. Am liebsten hätte sie sich ihre Tasche geschnappt und wäre davongerannt, doch damit hätte sie sich nur verdächtig gemacht. Sie musste sich zwingen, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Irgendwie schaffte sie es, das Büro zu verlassen und aus dem Gebäude zu gelangen und dabei zu tun, als wäre überhaupt nichts passiert.
Doch als sie auf die Straße hinaustrat, begann sie zu rennen – und blieb erst stehen, als das Brennen in ihren Lungen und das Stechen in ihren Seiten sie dazu zwangen.
Nach einem kurzen Abstecher ins Krankenhaus – Patrizias Zustand war nach wie vor unverändert, doch der behandelnde Arzt äußerte sich zuversichtlich, dass sie schon bald aus dem Koma erwachen würde – stellte Grazia ihren Wagen in einer kleinen Seitenstraße in der Nähe ihres Apartments ab und ging das letzte Stück zu Fuß. Die Polizei würde früher oder später nach ihrem alten Fiat fahnden, deshalb war es besser, sich davon zu trennen. Die Schlüssel zu Patrizias flaschengrünem Minicooper befanden sich oben in der Wohnung, ebenso wie ein paar alte Notizbücher mit Aufzeichnungen ihres Vaters, die ihr bei ihren weiteren Nachforschungen vielleicht helfen würden.
Sie konnte den Hauseingang bereits sehen und beschleunigte ihre Schritte, da legte sich plötzlich eine Hand von hinten über ihren Mund und um ihre Brust, und sie wurde in die dunkle Toreinfahrt zum Hinterhof gezerrt.
Im ersten Augenblick war Grazia so erschrocken, dass sie überhaupt nicht reagierte – dann bäumte sie sich auf und schlug und trat nach ihrem Angreifer. Doch der war viel zu stark, als dass sie etwas gegen ihn ausrichten konnte.
Da biss Grazia zu.
Der metallische Geschmack von Blut erfüllte ihren Mund und ließ sie würgen. Wenigstens zeigte ihr Überraschungsangriff Wirkung, denn sie hörte ein ersticktes Aufstöhnen, und der stählerne Griff, von dem sie gehalten wurde, löste sich für den Bruchteil einer Sekunde.
„Hör auf, verdammt!“, raunte ihr eine Stimme ins Ohr. „Ich bin’s, Zack!“
Er ließ sie los. Sofort wich Grazia ein paar Schritte zurück. Sie hatte nicht vergessen, was sie von Commissario Tozzi erfahren hatte – auch, wenn sie wieder einmal spürte, wie ihr Herz bei Zacks Anblick schneller zu schlagen begann.
„Verdammt, spinnst du?“, fuhr sie ihn wütend an. „Was sollte das?“
„Pst!“ Er berührte mit einem Finger seine Lippen. „Ein bisschen leiser, wenn’s geht – oder willst du unbedingt denen dort in die Hände fallen?“ Er deutete durch die Einfahrt auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo auf Höhe ihrer Hauses ein Wagen parkte, in dem zwei Männer saßen.
Grazia erkannte sofort, dass es sich um eine Zivilstreife handelte. Es war derselbe Typ von Wagen, den auch ihre Abteilung für verdeckte Ermittlungen verwendete: ein Alfa Romeo älteren Baujahrs in unauffälligem Dunkelblau. Einer der Männer hatte ein Fernglas, mit dem er immer wieder zu ihrer Wohnung hinaufspähte.
Keine Frage, sie waren hinter ihr her.
Merda , um ein Haar wäre sie direkt in eine Falle gelaufen! Sie hätte zumindest auf den Gedanken kommen müssen, dass man bereits nach ihr suchte. Und wo würde man da am ehesten beginnen? Vor ihrer Wohnung natürlich!
Sie unterdrückte einen Fluch, dann wandte sie sich an Zack. „Wo warst du gestern Nacht, nachdem wir … nachdem du abgehauen bist?“ Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. „Und lüg mich bloß nicht an!“
„Deinem Verhalten nach zu urteilen weißt du bereits, dass ich San Carlo alle Quattro Fontane einen Besuch abgestattet habe. Warum fragst du also?“
„Weil ich deineVersion der Geschichte hören will!“
Er nickte. „Also gut, ich werde dir alles erzählen – aber nicht hier, okay? Ich weiß einen sicheren Ort, an den wir uns zurückziehen können.“ Er schaute ihr tief in die Augen. „Du vertraust mir doch, oder?“
Grazia zögerte. Sie dachte an die Fotos, die der Commissario ihr vorgelegt hatte. Auf der anderen Seite versuchte Zack ja nicht einmal zu leugnen, dass er in der Kirche gewesen war, in der man ein paar Stunden später den toten
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