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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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islamischen Glaubens. Auf arabisch bedeutet es soviel wie ›Freund Gottes«. Die Bewohner von Khalil oder Hebron stellen die Elite Palästinas dar. Jetzt erzähle ich dir einen kleinen Witz, über den du sehr lachen wirst. Es gibt eine Überlieferung, derzufolge der einzige Ort, von dem die Juden niemals vertrieben wurden, der Berg Hebron südlich der Stadt ist. Es ist also gut möglich, dass ich jüdisches Blut in den Adern habe. Trotzdem schäme ich mich nicht.
    Ich bin kein Anti-Semit, sondern nur ein Anti-Zionist. Glaubst du mir?«
    Er wartete die Bestätigung gar nicht erst ab; das brauchte er auch nicht.
    »Ich war der jüngste von vier Brüdern und zwei Schwestern. Alle bestellten die Äcker, mein Vater war der mukhtar oder das Oberhaupt, das von den weisen Ältesten gewählt wird. Unser Dorf war berühmt für seine Feigen und Trauben, seine Kämpfer und für seine Frauen, die genauso schön und gehorsam sind, wie du es bist. Die meisten Dörfer sind nur für eine Sache berühmt. Das unsere war für viele Dinge berühmt.« »Natürlich«, murmelte sie. Doch er war weit davon entfernt, sich auf den Arm genommen zu fühlen.
    »Am berühmtesten aber war es für die weisen Ratschläge meines Vaters, der glaubte, dass die Moslems zusammen mit Christen und Juden eine einzige Gesellschaft bilden sollten, genauso, wie ihre Propheten im Himmel einträchtig unter einem Gott zusammenleben. Ich spreche sehr viel über meinen Vater, meine Familie und mein Dorf mit dir. Jetzt und auch später. Mein Vater bewunderte die Juden. Er hatte sich mit dem Zionismus beschäftigt und holte sie gern in unser Dorf, um sich mit ihnen zu unterhalten. Meine älteren Brüder mussten Hebräisch lernen. Als Kind hörte ich abends den Männern zu, wenn sie Lieder von alten Kriegen sangen. Tagsüber brachte ich das Pferd meines Großvaters zur Tränke und hörte die Berichte der Reisenden und Hausierer. Wenn ich dir dieses Paradies beschreibe, klingt das in deinen Ohren wie reine Poesie. Ich kann das. Ich habe die Gabe. Wie wir auf unserem Dorfplatz den dabke tanzten und dem oud lauschten, während die alten Männer Tricktrack spielten und ihre narjeels rauchten.«
    Das Wort sagte ihr nichts, aber sie war klug genug, ihn nicht zu unterbrechen.
    »In Wirklichkeit, das gebe ich dir gegenüber freimütig zu, erinnere ich mich nur an wenige solcher Dinge. In Wirklichkeit tue ich nichts weiter, als die Erinnerungen der Alten weiterzugeben; so werden unsere Traditionen in den Lagern lebendig gehalten. Je mehr Generationen wegsterben, desto mehr müssen wir unsere Heimat in den Erinnerungen derer erleben, die vor uns gewesen sind. Die Zionisten werden sagen, wir hätten keine Kultur gehabt, ja, es hätte uns überhaupt nicht gegeben. Sie werden dir sagen, wir wären heruntergekommen, hätten in Lehmhütten gehaust und seien in stinkenden Lumpen herumgelaufen. Sie werden dir Wort für Wort sagen, was früher von den Antisemiten in Europa über die Juden gesagt wurde. Die Wahrheit ist in beiden Fällen dieselbe: Wir waren ein edles Volk.« Ein Kopfnicken im Dunkeln deutete an, dass seine beiden Identitäten sich darüber einig waren.
    »Ich beschreibe dir unser Leben als Bauern und die vielen komplizierten Systeme, mit deren Hilfe das Gemeinwesen in unserem Dorf aufrechterhalten wurde. Die Traubenernte, wie das ganze Dorf auf Befehl des mukhtars , meines Vaters, gemeinsam auf die Rebfelder hinauszog. Wie meine älteren Brüder zunächst eine Schule besuchten, die ihr Briten während der Mandatszeit gegründet hattet. Du wirst lachen, aber mein Vater hat auch an die Briten geglaubt. Wie der Kaffee im Gästehaus unseres Dorfes zu jeder Stunde des Tages warm gehalten wurden, damit niemand jemals von uns sagen könnte: ›Dieses Dorf ist zu arm, diese Leute sind Fremden gegenüber nicht gastfreundlich.‹ Du möchtest wissen, was mit dem Pferd meines Großvaters geschehen ist? Er hat es für ein Gewehr verkauft, damit er auf die Zionisten schießen konnte, als sie unser Dorf angriffen. Statt dessen erschossen die Zionisten meinen Großvater. Sie zwangen meinen Vater, dabeizustehen und zuzusehen. Meinen Vater, der an sie geglaubt hatte.«
    »Ist das auch wahr?«
    »Selbstverständlich.«
    Freilich konnte sie nie sagen, ob es nun Joseph war, der antwortete, oder Michel; und sie wusste, dass er das auch gar nicht wollte.
    »Ich spreche vom 48er Krieg als von der ›Katastrophe‹ -niemals vom Krieg, sondern von der Katastrophe. In der Katastrophe von ‘48,

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