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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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eines muss ich verlangen. Marty, ich verlange es, ich bestehe darauf. Kein Schaden, kein Menschenleben. Das ist eine Bedingung. Wir sind Freunde. Begreifen Sie?«
    Kurtz begriff sehr wohl, wie seine knappe Antwort bewies. »Paul, deutsches Eigentum wird bestimmt nicht beschädigt werden. Ein paar Kratzer vielleicht, aber kein echter Schaden.« »Und Menschenleben? Um Gottes willen, Marty, wir sind doch hier nicht primitiv !« rief Alexis, in dem neuerlich Panik aufflackerte.
    Kurtz’ Stimme bekam plötzlich etwas überwältigend Ruhiges. »Das Blut Unschuldiger wird nicht vergossen werden, Paul. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Und kein deutscher Staatsbürger wird auch nur eine Schramme abbekommen.«
    »Darauf kann ich mich verlassen?«
    »Es wird Ihnen gar nichts anderes übrig bleiben«, sagte Kurtz und legte auf, ohne zu hinterlassen, unter welcher Nummer man ihn erreichen könnte.
    Unter normalen Umständen hätte Kurtz nicht so unbekümmert das Telefon gebraucht, doch da die Verantwortung fürs Anzapfen jetzt bei Alexis lag, hatte er das Gefühl, das Risiko auf sich nehmen zu können.
    Litvak rief zehn Minuten später an. Los, sagte Kurtz; grünes Licht; ans Werk.
    Sie warteten, Kurtz am Fenster, Becker, wieder auf seinem Stuhl, blickte an ihm vorbei auf den unruhigen Nachthimmel. Kurtz packte den Mittelhebel, schob ihn beiseite und machte die beiden Fensterflügel so weit wie möglich auf, so dass der Lärm von der Autobahn hereindrang.
    »Warum überflüssige Risiken eingehen?« brummte er, als hätte er sich bei einer Nachlässigkeit ertappt.
    Becker fing an, nach Soldatenart zu zählen: soundso lange, um die beiden richtig hinzusetzen. Soundso lange für eine letzte Überprüfung. Soundso lange, um abzuhauen. Soundso lange, bis aus beiden Richtungen eine Verkehrslücke gemeldet wurde. Soundso lange, um noch einmal darüber nachzudenken, wie viel ein Menschenleben wert ist, selbst für die, die völlig aus den menschlichen Bindungen ausgebrochen sind, und für die, bei denen das nicht der Fall ist. Es war wie üblich die lauteste Detonation, die je jemand gehört hatte. Lauter als Bad Godesberg, lauter als Hiroshima, lauter als alle Schlachten, in denen er mitgekämpft hatte. Becker, der noch immer auf seinem Stuhl saß und an Kurtz’ Silhouette vorbeiblickte, sah einen riesigen orangefarbenen Feuerball aus dem Boden emporschießen, dann verschwinden und die späten Sterne und das frühe Tageslicht mitnehmen. Ihm folgte sofort eine Woge von öligem schwarzen Rauch, der schnell den durch die sich ausdehnenden Gase entstandenen Raum erfüllte. Er sah Trümmer durch die Luft fliegen und einen Regen von schwarzen Bruchteilen nach hinten wegspritzen: ein Reifen, ein Brocken Asphalt, menschliche Gliedmaßen - wer wollte das jemals wissen? Er sah, wie der Vorhang liebevoll Kurtz’ nackten Arm streifte und spürte den warmen Hauch eines Föhns. Er vernahm das insektenhafte Summen von harten Gegenständen, die sich vibrierend aneinander reiben, und längst ehe es sich gelegt hatte, die ersten Schreie der Empörung, das Gehechel von Hunden sowie das Schlurfen ängstlicher Füße, als die Leute sich in Pantoffeln in dem überdachten Gang versammelten, der die einzelnen Häuschen miteinander verband, und er hörte die sinnlosen Sätze, die die Leute im Film auf untergehenden Schiffen zueinander sagen: »Mutter! Wo ist Mutter! Ich hab’ meinen Schmuck verloren.« Er hörte, wie eine völlig aufgelöste Frau sich nicht davon abbringen ließ, dass die Russen kämen, während eine nicht weniger verängstigte Stimme ihr versicherte, es sei nur ein Tankwagen, der in die Luft gehe. Jemand sagte, es müsse sich um was Militärisches handeln - die Sachen, die sie nachts transportieren, sind eine Schande! Neben dem Bett stand ein Radio. Während Kurtz am Fenster stehen blieb, stellte Becker einen lokalen Unterhaltungssender für Nachtschwärmer an und ließ das Radio laufen, für den Fall, dass sie eine Meldung durchgaben. Unter Sirenengeheul sauste ein Polizeiwagen die Autobahn entlang, das Blaulicht blitzte. Dann nichts, dann ein Feuerwehrauto, dem ein Krankenwagen folgte. Die Musik wurde unterbrochen, es kam zur ersten Meldung. Unerklärliche Explosion westlich von München, Ursache unbekannt - keine weiteren Einzelheiten. Die Autobahn sei in beiden Richtungen gesperrt; den Autofahrern werde geraten, auf Umgehungsstraßen auszuweichen. Becker stellte das Radio ab und knipste das Licht an. Kurtz machte das Fenster zu und

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